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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Smileys Leute oder Agent in eigener Sache (Smiley Bd 7)
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fand der alte
Knabe, Miller sei großartig. »Miller, c'est bien«, hatte er erklärt.
»Miller gefällt mir, Max.« Aber »Mister« war alles andere als gut. Er bestand
zunächst auf General, ließ sich dann bis zum Colonel herab. Smiley, als
wiedererstandener Vikar, war indessen in diesem Punkt unnachgiebig: Mister
bringe weit weniger Scherereien, als ein falscher Dienstgrad in der verkehrten
Armee, hatte er verfügt.
    Er klopfte kräftig, da er wußte,
daß ein leises Anklopfen mehr auffällt, als ein lautes. Er hörte das Echo,
sonst nichts. Kein Geräusch von Schritten, keinen plötzlich verstummenden Laut.
Er rief »Wladimir« durch den Briefschlitz, als sei er ein alter Freund, der auf
Besuch kommt. Er probierte einen Yale-Schlüssel aus dem Bund; der Schlüssel
klemmte. Er probierte einen zweiten. Er paßte. Smiley trat in die Wohnung und
schloß die Tür. Er war auf einen Schlag über den Hinterkopf gefaßt, dachte
aber, ein eingeschlagener Schädel sei immer noch besser, als ein
weggeschoßenes Gesicht. Er fühlte Schwindel und merkte, daß er den Atem anhielt.
Der gleiche weiße Anstrich, stellte er fest, die gleiche Gefängnisöde.
Dieselbe merkwürdige Stille, wie in einer Telefonzelle, und auch dieselbe Mischung
von öffentlichen Gerüchen.
    Genau an dieser Stelle, so
erinnerte sich Smiley, standen wir drei an jenem Nachmittag. Toby und ich wie
Hochseeschlepper mit dem alten Schlachtschiff zwischen uns. Das Angebot der
Immobilienfirma hatte von einem »Penthouse« gesprochen.
    »Hoffnungslos«, hatte Toby
Esterhase, der wie immer als erster das Wort ergriff, in seinem ungarischen
Französisch verkündet und sich bereits wieder zur Tür gewandt, um die Wohnung
zu verlassen. »Ich meine, absolut gräßlich. Ich meine, ich hätte sie mir vorher
ansehen sollen, ich Idiot«, hatte Toby gesagt, als Wladimir sich immer noch
nicht rührte. »General, ich muß mich bei Ihnen entschuldigen. Das hier ist
wirklich eine Zumutung.« Smiley hatte sich im gleichen Sinn geäußert. Wir können
Ihnen etwas Besseres bieten, als das, Wladi. Etwas viel Besseres. Wir dürfen
nur nicht locker lassen.
    Doch die Augen des alten Mannes
hatten auf dem Fenster verweilt, so wie jetzt Smileys Augen, auf dem Wald von
Kaminen und Giebeln und schrägen Dächern, der jenseits der Brüstung aufschoß.
Und plötzlich hatte er eine behandschuhte Pranke auf Smileys Schulter fallen
lassen.
    »Verwenden Sie Ihr Geld lieber
dazu, diese Schweine in Moskau abzuknallen, Max«; hatte er geraten.
    Unter Tränen, die ihm die Wangen
hinabrannen, und mit dem gleichen entschlossenen Lächeln hatte Wladimir weiter
auf die Moskauer Kamine gestarrt; und auf den schwindenden Traum von einem
Leben unter russischem Himmel.
    »On reste ici «, hatte er schließlich befohlen, so, als
beziehe er eine letzte Verteidigungsstellung.
    Eine schmale Bettcouch
stand an einer Wand, auf dem Fensterbrett ein Gaskocher. Der Geruch nach
Gipsmörtel weckte in Smiley die Vermutung, daß der alte Mann die Wohnung
ständig selbst getüncht, die feuchten Stellen übermalt und die Risse verspachtelt
hatte. Auf einem Schreib- und Eßtisch waren eine uralte Remington und ein paar
abgegriffene Wörterbücher. Seine Übersetzungsarbeit, dachte Smiley, ein paar
Extra-Pennies zur Aufbesserung seiner »Rente«. Smiley drückte die Ellbogen nach
hinten, als schmerze ihn das Rückgrat, richtete sich zu seiner ganzen, wenn
auch nicht stolzen Größe auf und machte sich an den Vollzug der vertrauten
Totenriten für heimgegangene Spione. Eine estnische Bibel lag auf dem
Nachtkästchen aus Fichtenholz. Er tastete das Buch behutsam nach Hohlräumen
ab, hielt es dann mit der Schnittseite nach unten, um Papierschnitzel oder
Fotos herauszuschütteln. Er zog die Kommodenschublade auf und fand darin ein
Flaschen mit Patentpillen zur Neubelebung der schwindenden Manneskraft und drei
auf einer Chromspange aufgezogene Tapferkeitsorden der Roten Armee. Soviel zur
Tarnung, dachte Smiley und fragte sich, wie um alles in der Welt Wladimir und
seine zahlreichen Gespielinnen auf diesem kärglichen Lager zurechtgekommen
sein mochten. Ein Lutherbild hing über dem Kopfende der Bettcouch. Daneben ein
Farbdruck, betitelt »Die roten Dächer von Alt-Riga«, den Wladimir wohl irgendwo
herausgerissen und auf ein Stück Pappe geklebt hatte. Eine weitere Ansicht
zeigte »Die Kazari-Küste«, eine dritte »Windmühlen mit Burgruine«. Smiley
suchte die Wand hinter den Bildern ab. Dann fiel sein Blick auf die

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