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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Smileys Leute oder Agent in eigener Sache (Smiley Bd 7)
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durcheinandergebracht. Möglicherweise war es ihm unheimlich, so
dicht an den Bäumen zu sein. Möglicherweise hat sein Herz gestreikt, wenn Sie
sagen, daß es einen Knacks hatte. Dann rast er wieder los, wie zuvor.«
    »Mit dem Stock in der linken Hand«,
hatte Smiley ruhig gesagt. »Warum? Das frage ich mich, Sir, aber vielleicht
wißt Ihr Leute die Antwort. Warum? Hat er wieder etwas gehört? Sich an etwas
erinnert? Warum - wenn man um sein Leben rennt -, warum stehen bleiben,
herumtrampeln, den Stock in die andere Hand nehmen und dann wieder losrennen?
Direkt in die Arme des Mörders? Es sei denn, natürlich, der Bursche hinter ihm
hat ihn hier überholt, vielleicht einen Bogen durch die Bäume geschlagen?
Irgendeine Erklärung von Ihrer Seite der Straße, Mr. Smiley?«
    Diese Frage klang Smiley immer noch
im Ohr, als sie schließlich bei der Leiche angekommen waren, die wie ein Embryo
in ihrem Plastikbauch schwamm.
    Doch an diesem darauffolgenden
Morgen blieb Smiley kurz vor der Senke stehen. Er stellte seine durchnäßten
Schuhe, so gut er konnte, jeweils auf den genau richtigen Fleck und versuchte,
die Bewegungen zu imitieren, die der alte Mann gemacht haben mochte. Und da
Smiley dies alles in Zeitlupe und mit allen Anzeichen äußerster Konzentration
unter dem Blick von zwei behosten Damen tat, die ihre Schäferhunde Gassi
führten, wurde er für einen Jünger der als neueste Marotte grassierenden Chinesischen
Kampfübungen und dementsprechend für verrückt gehalten.
    Zuerst stellte er die Füße
nebeneinander, die Spitzen hügelabwärts gerichtet. Dann schob er den linken
Fuß vor und drehte den rechten, bis die Spitze direkt auf eine Schonung zeigte.
Dabei drehte sich die rechte Schulter ganz von selbst mit, und sein Instinkt
sagte ihm, daß genau dies der Augenblick sein würde, um den Stock von der
rechten in die linke Hand zu nehmen. Aber warum? Wie schon der
Superintendent gefragt hatte: Warum den Stock überhaupt in die andere Hand
nehmen?
    Warum sollte er in diesem
vielleicht allerletzten Augenblick seines Lebens einen Spazierstock feierlich
von der rechten in die linke Hand genommen haben? Sicher nicht, um sich zu
verteidigen - er war ja Rechtshänder. Um sich zu verteidigen, würde er den
Stock nur fester gepackt haben. Oder mit beiden Händen umklammert, wie einen
Schläger.
    Wollte er die rechte Hand dadurch
frei bekommen? Doch: frei, wozu?
    Smiley, der sich jetzt eindeutig
beobachtet fühlte, linste scharf nach hinten und sah zwei Knirpse in Klubjacken,
die stehengeblieben waren, um dieses rundliche bebrillte Männchen bei seiner
possierlichen Fußgymnastik zu beobachten. Er blitzte sie in seiner
schulmeisterlichsten Manier an, und sie entfernten sich schleunigst.
    Die rechte Hand freizubekommen,
wofür? fragte Smiley sich wieder. Und warum einen Augenblick später aufs neue
losrennen?
    Wladimir drehte sich nach rechts,
dachte Smiley und vollzog wiederum gleichzeitig mit dem Gedanken auch die
Bewegung. Wladimir drehte sich nach rechts. Er stand vor der Schonung, er nahm
den Stock von der rechten in die linke Hand. Laut Schlußfolgerung des
Superintendent verharrte er einen Moment. Dann rannte er weiter.
    Moskauer Regeln , dachte Smiley und starrte auf seine eigene rechte Hand.
Langsam steckte er sie in die Tasche seines Regenmantels. Die leer war, so wie
die rechte Manteltasche des toten Wladimir leer gewesen war.
    Hatte er vielleicht beabsichtigt,
eine Botschaft zu schreiben? Smiley zwang sich, die Theorie durchzuspielen,
obwohl er sie bereits ausgeschaltet hatte. Eine Botschaft zu schreiben, mit der Kreide zum Beispiel? Wladimir erkannte seinen Verfolger und wollte
irgendwo einen Namen oder ein Zeichen hinkreiden. Aber worauf? Ganz sicher
nicht auf diese naßen Baumstämme. Auch nicht auf den Lehm, das abgefallene
Laub, den Kies. Smiley blickte in die Runde und wurde sich einer Besonderheit
seines Standplatzes bewußt. Hier, am Saum der Allee, ziemlich genau zwischen
zwei Bäumen, wo der Nebel sich am stärksten verdichtete, war er so gut wie
außer Sicht. Die Allee führte hügelab, ja, und stieg vor ihm an, aber sie
beschrieb auch eine Kurve, und von dem Platz, wo er stand, war der Ausblick
nach oben in beiden Richtungen durch Baumstämme und dichtes Jungholz verstellt.
Auf der ganzen Strecke von Wladimirs letztem, verzweifelten Gang, einer
Strecke, die er, wohlgemerkt,gut gekannt und für ähnliche Treffs benützt hatte,
war dies, wie Smiley mit wachsender Genugtuung bemerkte, der einzige

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