Carre, John le
Freies Europa, designierter
Premierminister von Estland, Renntip - Hausierer? Um drei Uhr morgens, während
Beckie einen Zahn bekommt, geht das Misttelefon. Am Apparat ist Mikhel, und er
zieht seine Schnauf- und Flüsternummer ab. >Wo ist Wladi, Stella? Wo ist
unser Führer?< Ich sage zu ihm: >Sie sind wohl bescheuert, wie? Glauben
Sie denn, Sie könnten mit Ihrem Gewisper eine Abhörschaltung austricksen? Sie
sind total meschugge<, sag ich zu ihm. >Bleiben Sie bei Ihren Rennpferden
und lassen Sie die Pfoten von der Politik<, hab ich zu ihm gesagt.« »Warum
war er so besorgt?« fragte Smiley.
»Wladi schuldete ihm Geld, darum.
Fünfzig Pfund. Vermutlich gemeinsam auf ein Pferd verwettet, eines ihrer
zahlreichen >Ferner liefen<, Wladi hatte versprochen, das Geld bei
Mikhel vorbeizubringen und mit ihm eine Partie Schach zu spielen. Mitten in
der Nacht, wohlgemerkt. Schlaflosigkeit und Patriotismus gehen offenbar Hand in
Hand. >Unser Führer ist nicht gekommen !< Tragödie. >Warum zum Teufel
soll William wissen, wo er ist?< frage ich ihn. >Gehen Sie schlafen.<
Eine Stunde später, wer ist wieder am Apparat? Schnaufend, wie zuvor? Unser
Major Mikhel, Held der Königlich Estnischen Kavallerie. Knallt die Hacken
zusammen und entschuldigt sich. Er war bei Wladi, hat an die Tür gebollert und
geklingelt. Niemand zu Hause. >Hören Sie, Mikhel<, sage ich. >Wir
verstecken ihn nicht auf dem Dachboden, wir haben ihn seit Beckies Taufe weder
gesehen noch etwas von ihm gehört. Kapiert? William ist gerade aus Hamburg
zurückgekommen, er braucht Schlaf, und ich werde ihn nicht wecken. <«
»Er hat also wieder eingehängt«,
meinte Smiley.
»Den Teufel hat er! Er ist ein
aufdringlicher Kerl. >William ist Wladis Favorit<, sagt er.
>Wofür?< sage ich. >Für das Drei-Uhr-dreißig-Rennen in Ascot? Nun gehn
Sie schon verdammt nochmal schlafen !< >Wladimir hat immer zu mir
gesagt, wenn etwas schiefgeht, soll ich William anrufen.< >Was soll er
denn tun?< sage ich. >Mit dem Brummi in die Stadt fahren und auch an
Wladimirs Tür bollern?< Herrgottnochmal!«
Sie setzte das Kind auf einen
Stuhl. Es blieb sitzen und mummelte zufrieden an seinem Biskuit.
Man hörte das Geräusch einer heftig
zugeschlagenen Tür, gefolgt von schnellen Schritten, die die Treppe
herabkamen.
»William ist aus der Sache raus,
Max«, warnte Stella und starrte Smiley unverwandt an. »Er ist unpolitisch, er
ist unabhängig und er hat's verwunden, daß sein Vater ein Märtyrer war. Er ist
jetzt ein großer Junge und kann auf eigenen Füßen stehen. Klar? Ich sagte
>Klar«
Smiley war ans andere Ende des
Zimmers gegangen, möglichst weit weg von der Tür. Willem kam zielstrebig
herein, immer noch in Trainigsanzug und Laufschuhen, ungefähr zehn Jahre jünger
als Stella und irgendwie leichtgewichtiger, als für ihn gut war. Er hockte sich
aufs Sofa, an die Kante, und sein Blick ging gespannt zwischen seiner Frau und
Smiley hin und her, als überlege er, wer von den beiden ihn zuerst anspringen
werde. Seine hohe Stirn sah seltsam bleich aus unter dem dunklen zurückgestrichenen
Haar. Er hatte sich rasiert, wodurch sein Gesicht voller und sogar noch jünger
wirkte. Die vom Fahren rot geränderten Augen waren braun und leidenschaftlich.
»Hallo, Willem«, sagte Smiley.
»William«, verbesserte ihn Stella.
Willem nickte ernsthaft, als ob er
beide Formen anerkenne.
»Hallo, Max«, sagte Willem. Auf
seinem Schoß fanden sich die Hände und hielten einander fest. »Wie geht's, Max?
Wie steht's, he?«
»Ich nehme an, Sie haben schon von
Wladimir gehört«, sagte Smiley.
»Gehört? Was gehört, bitte?«
Smiley ließ sich Zeit. Er
beobachtete ihn und spürte seine Nervenanspannung.
»Daß er verschwunden ist«,
antwortete Smiley schließlich leichthin. »Ich nehme an, seine Freunde haben Sie
zu ganz unchristlichen Zeiten angerufen.«
»Freunde?« Willem warf einen
hilfesuchenden Blick auf Stella. »Alte Emigranten, trinken Tee, spielen den
ganzen Tag Schach, politisieren? Spinnen verrückte Träume? Mikhel ist nicht
mein Freund, Max.«
Er redete schnell, die fremde
Sprache machte ihn ungeduldig, dieser armselige Ersatz für seine eigene.
Während Smiley sprach, als habe er den ganzen Tag vor sich.
»Aber Wladi ist Ihr Freund«,
wandte er ein. »Wladi war schon ein Freund Ihres Vaters. Die beiden waren in
Paris zusammen. Waffenbrüder. Sind zusammen nach England gekommen.«
Willems schmaler Körper stemmte
sich mit einem Wirbel von Bewegungen gegen die Wucht
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