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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Smileys Leute oder Agent in eigener Sache (Smiley Bd 7)
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einer
Vorauskenntnis, die mehr ist als Instinkt und weniger als Wissen.
    Willem fuhr sich mit dem Handrücken
über die Lippen. »Am Montag«, sagte er kläglich. »Ich seh' ihn am Montag. Er
ruft mich an, wir treffen uns. Sicher.«
    Stella flüsterte: »Oh, Willem«, und
hielt das Kind senkrecht vor sich hin wie einen kleinen Soldaten, während sie
nach unten auf den Sisalteppich blickte und wartete, daß ihre Gefühle wieder
ins Lot kämen.
    Das Telefon begann zu schrillen.
Wie ein wütendes Kind sprang Willem darauf zu, hob den Hörer ab, schmetterte
ihn wieder auf die Gabel, schmiß dann den ganzen Apparat auf den Boden und
stieß mit dem Fuß den Hörer weg. Dann setzte er sich.
    Stella wandte sich an Smiley. »Ich
möchte, daß Sie gehen«, sagte sie. »Verschwinden Sie, und kommen Sie nie mehr
wieder. Bitte, Max. Sofort.«
    Eine Weile schien Smiley sich ganz
ernsthaft zu überlegen, ob er dieser Aufforderung nachkommen solle. Dann
tauchte er in die Innentasche seines Mantels und zog ein Exemplar der Frühausgabe
des Evening Standard hervor. Er reichte es Stella, nicht Willem, teils
wegen der Sprachbarriere, teils, weil er vermutete, daß Willem unter dem Schlag
zusammenbrechen werde.
    »Leider ist Wladi für immer von uns
gegangen, William«, sagte er im Ton schlichten Bedauerns. »Es steht in den
Zeitungen. Er wurde erschossen. Die Polizei wird Ihnen Fragen stellen. Ich muß
wissen, was passiert ist und Ihnen sagen, was Sie antworten sollen.«
    Willem flüsterte irgendetwas
Hoffnungsloses auf Russisch, Stella, die mehr sein Ton rührte, als das, was er
sagte, setzte das eine Kind ab und ging hin, das andere zu trösten, und Smiley
hätte ebenso gut nicht im Zimmer sein können. Eine Zeitlang blieb er also
einfach so sitzen, dachte an Wladimirs Negativ, das unentzifferbar bleiben
würde, solange er es nicht in ein Positiv verwandelte, und das in seinem
Karton im Savoy Hotel ruhte, zusammen mit dem anonymen Brief aus Paris, mit
dem er noch nichts anfangen konnte. Und an den zweiten Beweis, fragte sich,
worin er wohl bestanden und wie der alte Mann ihn mit sich geführt haben
mochte: in der Brieftasche, vermutete er und war überzeugt, daß er es nie
erfahren würde.
     
    Willem saß tapfer da, als wohnte er
bereits Wladimirs Beerdigung bei. Stella saß neben ihm und hatte ihre Hand auf
seine Hand gelegt, Beckie, das Kind, lag auf dem Boden und schlief. Während
Willem sprach, liefen ihm manchmal hemmungslos Tränen über die bleichen Wangen.
    »Auf die anderen gebe ich nichts«,
sagte Willem. »Auf Wladi alles. Ich liebe diesen Mann.« Er begann wieder:
»Nach dem Tod meines Vaters ist Wladi für mich Vater geworden. Manchmal nenne
ich ihn sogar >Vater<. Nicht Onkel. Vater.«
    »Vielleicht könnten wir mit dem
Montag anfangen«, schlug Smiley vor. »Mit dem ersten Treffen.«
    Wladi hatte telefoniert, sagte
Willem. Es war das erste Mal seit Monaten, daß Willem etwas von ihm oder von
irgendjemandem aus der Gruppe hörte. Wladi hatte Willem im Lagerhaus angerufen,
aus heiterem Himmel, während Willem gerade seine Fracht verzurrte und im Büro
vor dem Aufbruch nach Dover die Verladepapiere prüfte. So lautete die
Vereinbarung, sagte Willem, so war es mit der Gruppe abgemacht. Er stand
außerhalb, wie sie alle mehr oder weniger aus dem Spiel waren, aber falls er
dringend benötigt werden sollte, so könnte man ihn an Montagvormittagen im
Lagerhaus erreichen, nicht zu Hause, wegen Stella. Wladi war Beckies Pate, und
als Pate konnte er jederzeit zu Hause anrufen. Aber nicht geschäftlich.
Niemals.
    »Ich frage ihn: >Wladi! Was
gibt's? Hören Sie, wie geht's Ihnen ?<«
    Wladimir war in einer Telefonzelle
am anderen Ende der Straße. Er wollte Willem
sofort persönlich sprechen. Entgegen allen Bestimmungen der Betriebsordnung
ließ Willem ihn an der Kreuzung einsteigen, und Wladimir fuhr den halben Weg
nach Dover mit: »Schwarz«, sagte Willem, und meinte damit »vorschriftswidrig«.
Der alte Knabe hatte einen Strohkorb voller Orangen dabei, aber Willem war
nicht in der Stimmung gewesen zu fragen, warum er sich ein paar Pfund
Apfelsinen aufhalsen sollte. Zuerst sprach Wladimir von Paris und von Willems
Vater und von den großen Schlachten, die sie zusammen geschlagen hatten, dann
fing er von einer kleinen Gefälligkeit an, die Willem ihm erweisen könne. Der
alten Zeiten wegen, eine kleine Gefälligkeit. Willems Vater wegen, den
Wladimir geliebt hatte. Der Gruppe wegen, deren großer Held einst Willems
Vater gewesen

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