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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Smileys Leute oder Agent in eigener Sache (Smiley Bd 7)
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leidenschaftlichen, lachenden Augen, den lebhaften Mund, der schnell auf
und zu ging, aber er hörte keine Wörter. Er hatte das Gefühl, daß ihm etwas
entglitt, daß er am Ziel vorbeischoß, daß da noch ein anderer, hochaufragender
Schatten gewesen war, während sie sprachen.
    Vielleicht, dachte er. Alles ist
vielleicht. Vielleicht war Wladimir doch von einem eifersüchtigen Ehemann
erschossen worden, dachte er, als die Glocke an der Wohnungstür wie ein Geier
auf ihn einkreischte, zwei Klingelzeichen.
    Sie hat wie immer ihren Schlüssel
vergessen, dachte er.
    Er war in der Diele, bevor er es
recht gewahr wurde, und fummelte am Schloß. Ihr Schlüssel würde nichts nützen,
stellte er fest, wie die Ostrakowa hatte er die Kette vorgelegt. Er fischte
nach der Kette, rief »Ann, Moment!« und fühlte, daß seine Finger nichts
faßten. Er rammte den Bolzen in der Laufschiene zurück und hörte den Knall im
ganzen Haus widerhallen. »Komme schon!« rief er. »Warte! Nicht weggehen!«
    Er riß die Tür weit auf, trat
schwankend auf die Schwelle und bot sein Gesicht wie eine Opfergabe der
mitternächtlichen Luft und der schwarzschimmernden lederbekleideten Gestalt
dar, die mit dem Sturzhelm unter dem Arm gleich einem Sendboten des Todes vor
ihm stand.
     
    »Ich wollte Sie nicht erschrecken
Sir, gewiß nicht«, sagte der Fremde.
    Smiley klammerte sich an die
Türfüllung und starrte den Fremden wortlos an. Er war groß, trug einen
Bürstenhaarschnitt und seine Augen spiegelten unerwiderte Loyalität.
    »Ferguson, Sir. Erinnern Sie sich
an mich, Sir, Ferguson? Leitete früher die Fahrbereitschaft für Mr. Esterhases
Pfadfinder.«
    Das schwarze Motorrad mit dem
Seitenwagen war hinter ihm am Rinnstein geparkt, die liebevoll polierten
Flächen der Maschine glitzerten unter der Straßenbeleuchtung.
    »Ich dachte, die Pfadfinder seien
aufgelöst«, sagte Smiley und starrte ihn immer noch an.
    »Das stimmt, Sir. In alle vier
Winde zerstreut, wie ich leider sagen muß. Die Kameradschaft, der Corpsgeist,
alles für immer dahin.«
    »Wer ist dann Ihr Auftraggeber?«
    »Eigentlich niemand, Sir. Das
heißt, offiziell niemand. Aber nach wie vor auf Seiten der Schutzengel.«
    »Ich wußte gar nicht, daß wir
Schutzengel haben.«
    »Nein, es stimmt aber, Sir. Alle
Menschen sind fehlbar, sage ich immer. Besonders heutzutage.« Er hielt Smiley
einen braunen Umschlag hin. »Von gewissen Freunden von Ihnen, Sir, sagen wir
mal so. Betrifft eine Telefonabrechnung, über die Sie Nachforschungen
anstellten. Die Post spurt im allgemeinen recht gut, möchte ich sagen. Gute
Nacht, Sir. Entschuldigen Sie die Störung. Zeit, daß Sie eine Mütze voll
Schlaf bekommen, nicht wahr? Gute Männer sind Mangelware, sage ich immer.«
    »Gute Nacht«, sagte Smiley.
    Aber sein Besucher zögerte, wie
jemand, der auf Trinkgeld wartet. »Aber in Wirklichkeit erinnern Sie sich sehr
wohl an mich, Sir, wie? War bloß ein Versehen, nicht wahr?«
    »Natürlich.«
    Als er die Tür schloß, sah er, daß
der Himmel voller Sterne war. Klare, vorn Tau noch vergrößerte Sterne.
Fröstelnd nahm er eines von Anns zahlreichen Fotoalben heraus und öffnete es
in der Mitte. Wenn eine Aufnahme ihr gefiel, klemmte sie immer das Negativ
dahinter. Er wählte ein Bild, das sie beide am Cap Ferrat zeigte - Ann im
Badeanzug, Smiley wohlweislich bedeckt-, und tauschte das Negativ gegen
Wladimirs Film aus. Er räumte Chemikalien und Geräte weg und ließ den Abzug in
den zehnten Band seines Oxford Dictionary von 1961 gleiten, unter Y für Yesterday .
Er öffnete Fergusons Umschlag, schaute verdrossen auf seinen Inhalt,
registrierte ein paar Eintragungen und das Wort »Hamburg« und schob das Ganze
in eine Schreibtischlade. Morgen, dachte er, jedem Tag sein Rätsel. Er kroch
ins Bett, wie immer unschlüssig, auf welcher Seite er schlafen sollte. Er
schloß die Augen, und sofort schössen ihm, wie nicht anders zu erwarten gewesen
war, die Fragen in wilden, chaotischen Salven durch den Kopf.
    Warum hat Wladimir nicht Hector
verlangt, fragte er sich zum hundertsten Mal. Warum hat der alte Mann
Esterhase, alias Hector, mit den City Banken verglichen, die einem den Schirm
wegnehmen, wenn es regnet?
    Sagen Sie Max, es betrifft den
Sandmann.
    Sie anrufen? Sich in den Anzug
werfen und zu ihr stürzen, wie ein heimlicher Liebhaber, der sich bei
Tagesanbruch wieder davonschleicht? Zu spät, sie war bereits versorgt.
    Plötzlich begehrte er sie brennend.
Er konnte den Raum um sich nicht mehr

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