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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Smileys Leute oder Agent in eigener Sache (Smiley Bd 7)
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wir
tagtäglich und erinnern uns überhaupt nie an sie. Zu welcher Kategorie gehörte
dieses hier?
    Ein Toulouse-Lautrec-Gesicht,
dachte Smiley, als er es nachdenklich anlinste - festgehalten in dem
Augenblick, in dem seine Augen gerade zu irgendeiner unwiderstehlichen,
vielleicht erotischen Ablenkung hinüberglitten. Ann wäre sofort auf ihn geflogen;
er hatte den gefährlichen Einschlag, den sie liebte.
    Ein Toulouse-Lautrec-Gesicht,
festgehalten, während der verirrte Strahl einer Rummelplatzbeleuchtung die
eingefallene, gezeichnete Wange erhellte. Ein Gesicht, wie gemeißelt, voller
Schroffen und Schrunde, über dessen Stirn, Nase und Backenknochen die gleichen
erodierenden Unwetter hinweggefegt waren. Ein Toulouse-Lautrec-Gesicht,
beweglich und anziehend. Das Gesicht eines Kellners, nicht das eines Gastes.
Auf dem der Zorn des Kellners am hellsten lodert hinter einem dienernden
Lächeln. Ann würde diese Seite weniger mögen. Smiley ließ den Abzug, wo er lag,
rappelte sich langsam in die Höhe und stapfte, um sich wach zu halten, im
Zimmer herum; versuchte, das Gesicht unterzubringen, konnte es nicht, fragte
sich, ob alles nur Einbildung sei. Manche Menschen übertragen, dachte
er. Manchen Menschen braucht man nur zu begegnen, und schon überreichen sie
einem ihre ganze Vergangenheit wie ein Geschenk. Manche Menschen sind die
verkörperte Intimität.
    Er blieb an Anns Schreibtisch
stehen und starrte wieder auf das Telefon. Ihr Telefon. Ihr und Haydons
Telefon, ihr und jedermanns Telefon. Trimline, dachte er. Oder war es Slimline? Fünf Pfund Zusatzgebühr für den zweifelhaften Luxus seiner altmodisch-futuristischen
Form. Mein Nuttentelefon, wie sie es immer nannte. Das kleine
Ding-Dong für meine kleinen Lieben, das laute Bim-Bam für meine großen. Er
konstatierte, daß es klingelte. Schon seit geraumer Zeit klingelte, das kleine
Ding-Dong für die kleinen Lieben. Er stellte sein Glas ab und starrte weiter
auf das trillernde Telefon. Sie stellte es immer zwischen ihren Schallplatten
auf den Fußboden, wenn sie sich Musik vorspielte. Sie lag dabei immer daneben
- dort, beim Kamin -, lässig auf eine Hüfte hochgestützt, für den Fall, daß es
sie rufen würde. Wenn sie schlafen ging, zog sie den Stöpsel aus der Dose und
nahm es mit, drückte es an die Brust, auf daß es ihr in der Nacht Gesellschaft
leiste. Wenn sie sich liebten, wußte er, daß er nur der Ersatz für alle die
Männer war, die nicht angerufen hatten.
    Für die Erste Elf.
    Sogar für den toten Bill Haydon.
    Es hatte zu klingeln aufgehört.
    Was tut sie jetzt? Die Zweite Elf
probieren? Schön sein und Ann ist eine Sache, hatte sie erst unlängst zu
ihm gesagt - schön sein und in Anns Alter wird bald eine andere sein.
Und häßlich und in meinem Alter sein ist nochmals eine andere, dachte er
wütend. Er hob den Kontaktabzug auf und machte sich mit neuer Energie wieder an
seine Betrachtungen.
    Schatten, dachte er, Flecke von
Hell und Dunkel auf den Wegen, die wir entlangtaumeln. Koboldshörner,
Teufelshörner, unsere Schatten soviel größer als wir selber. Wer ist er? Wer
war er? Bin ich ihm begegnet? Habe ich eine Begegnung abgelehnt? Und wenn ich abgelehnt
habe, wieso kenne ich ihn dann? Er war irgendeine Art Bittsteller, ein Mann,
der etwas verkaufen wollte -Informationen? Träume?
     
     
    Wieder vollwach, streckte er sich
auf dem Sofa aus - alles, nur nicht hinauf ins Bett gehen - und schweifte, mit
dem Foto in der Hand, durch die langen Galerien seiner Erinnerung, hielt die Laterne
an halbvergessene Portraits von Scharlatanen, Goldmachern, Fälschern,
Hausierern, Mittelsmännern, Spionen, Schurken und gelegentlich auch Helden,
die in seinem vielschichtigen Bekanntenkreis die Nebenrollen gespielt hatten.
Dabei hielt er Ausschau nach dem einen scharf beleuchteten Gesicht, das sich
aus dem Kontaktabzug herausgelöst zu haben schien und nun wie ein heimlicher
Teilhaber einen Platz in seinem schwankenden Bewußtsein suchte. Der Strahl der
Lampe glitt ab, zögerte, kam wieder darauf zurück. Die Dunkelheit hat mich irre
geführt.
    Ich bin ihm im Licht begegnet. Er
sah ein gräßliches, neonbeleuchtetes Hotelzimmer - Musikberieselung und
Karotapeten -und den kleinen Fremden, der lächelnd in einer Ecke kauerte und
ihn Max nannte. Ein kleiner Botschafter - aber welche Sache vertrat er,
welches Land? Er erinnerte sich an einen Mantel mit Samtaufschlägen und an
harte, kleine Hände, die ihr eigenes Ballett aufführten. Er erinnerte sich an
die

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