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Carre, John le

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Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Smileys Leute oder Agent in eigener Sache (Smiley Bd 7)
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liegt in der Tat das
Dilemma jener Möchtegern-Historiker, die es sich, Monate nur nach Abschluß des
Falls, angelegen sein lassen, das Ineinandergreifen von Smileys Wissen und Handeln
nachzuzeichnen. Toby berichtete ihm dies und jenes, sagen sie, folglich tat er
dies und jenes. Oder: Wäre eine bestimmte Sache nicht passiert, dann hätte es
keinen Entschluß gegeben. Doch die Wahrheit ist viel komplizierter und weit
weniger bequem zur Hand. Wie ein Patient nach dem Erwachen aus der Narkose
seine Gliedmaßen durchprobiert - linkes Bein, rechtes Bein, lassen sich die
Finger beugen und strecken? -, so wuchs Smiley dank einer Abfolge von
vorsichtigen Bewegungen wieder seine eigene körperliche und geistige Kraft zu,
und er sondierte die Motive seines Gegners, wie er seine eigenen sondierte.
     

14
     
     
     
     
    Er fuhr über ein Hochplateau, und
das Plateau lag über den Baumwipfeln, denn die Fichten waren drunten in der
Talsenke gepflanzt worden. Es war am frühen Abend desselben Tages, und in der
Ebene stachen die ersten Lichter durch die feuchte Dämmerung. Am Horizont
schwamm auf dem Bodennebel die Stadt Oxfort, ein akademisches Jerusalem. Die
Ansicht von dieser Seite war ihm neu, was sein Gefühl der Unwirklichkeit verstärkte,
den Eindruck, daß er nicht nach eigenem Plan steuere, sondern gesteuert werde;
daß nicht er selber, sondern ein anderer seine Gedanken lenke. Sein Besuch bei
Toby Esterhase hatte sich, bei großzügiger Auslegung, noch innerhalb der
Grenzen von Lacons rüder Anweisung bewegt; diese Reise hingegen führte, das
wußte er, auf Gedeih oder Verderb ins verbotene Land seiner persönlichen
Interessen.
    Dennoch sah er keine Alternative
und wollte auch keine. Wie ein Archäologe, der im ganzen Leben nicht fündig
geworden war, hatte Smiley sich noch einen einzigen letzten Tag erbeten, diesen
heutigen.
    Anfangs hatte er ständig den
Rückspiegel im Auge behalten, beobachtet, daß das wohlvertraute Motorrad ihm
folgte, wie Möwen einem Schiff. Aber hinter der letzten Abzweigung war der
Mann namens Ferguson nicht gefolgt, und als Smiley anhielt, um die Karte zu
studieren, überholte ihn nichts; also hatten sie entweder sein Ziel erraten
oder ihrem Mann aus unerforschlichen Verfahrensgründen verboten, die Grafschaft
zu verlassen.
    Unterwegs fielen ihn von Zeit zu
Zeit jähe Skrupel an. Laß sie in Ruhe, dachte er. Er hatte einiges gehört,
nicht viel, aber genug, um den Rest zu erraten. Laß sie, laß sie ihren Frieden
finden, so gut sie kann. Aber er wußte, daß es nicht seines Amtes war, Frieden
zu geben, daß der Kampf, in den er verstrickt war, immer weitergehen mußte,
wenn er überhaupt Sinn haben sollte.
    Das Hinweisschild des Tierheims war
wie ein gemaltes Grinsen: MERRILEE HEISST IHREN LIEBLING WILLKOMMEN! EIER! Ein
hingekleckster gelber Hund, der einen Zylinder trug, wies mit der Pfote den
Fahrweg entlang; und der Weg, den Smiley nun einschlug, führte so steil
bergab, daß die Fahrt einem freien Fall glich. Er passierte einen Leitungsmast
und hörte den Wind darin heulen; er fuhr in die Baumpflanzung ein. Zuerst kam
das Jungholz, dann schlössen sich die hohen Wipfel über ihm, und er war im
Schwarzwald seiner deutschen Kindheit und strebte einem tief verborgenen Innern
entgegen. Er schaltete die Scheinwerfer ein, bog um eine enge Kurve, eine
zweite und dritte, und da war die Hütte, fast genau so, wie er sie sich
vorgestellt hatte - ihre Datscha , wie sie immer gesagt hatte. Früher
hatte sie ein Haus in Oxford gehabt und die Datscha als Ausweichstelle. Jetzt
war nur die Datscha geblieben, die Städte hatte sie für immer verlassen. Das
Häuschen stand auf einer Lichtung aus Baumstümpfen und zertrampelter Erde,
hatte eine wackelige Veranda, ein Schindeldach und einen Blechkamin, aus dem
Rauch aufstieg. Die Holzverschalung der Wände war schwarz geteert, ein verzinkter
Futtertrog blockierte fast den Vordereingang. Auf einem kleinen Rasenfleck
stand ein selbstgebastelter Vogeltisch mit genügend Brot für eine ganze Arche
Noah, und rings um die Lichtung standen, wie Schreberhäuschen, die Asbestschuppen
und Drahtgehege für die Hühner und die unterschiedslos willkommenen Lieblinge.
    Karla, dachte er, ausgerechnet hier
muß ich nach dir suchen. Er parkte den Wagen, und sofort brach die Hölle los,
Hunde winselten herzzerbrechend, und dünne Wände krachten unter dem Anprall verzweifelter
Leiber. Er ging auf das Haus zu, die Flaschen im Plastikbeutel schlugen ihm
gegen das Bein. Trotz

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