Carre, John le
Smileys Gesicht vorbei.
»Er ordnete an, daß der Fall nicht
weiter bearbeitet werde«, korrigierte Smiley.
»Wo liegt der Unterschied?«
Smiley sah sich überraschend vor
die Aufgabe gestellt, Saul Enderby zu verteidigen.
»Der Fall lief noch eine Weile,
dann, in der Übergangszeit zwischen meiner Amtsführung und der seinen,
erklärte er ihn verständlicherweise für unproduktiv.« Smiley hatte seine Worte
mit größter Umsicht gewählt.
»Und jetzt hat er sich's anders
überlegt«, sagte sie.
»Ich habe Einzelteile, Con. Ich
will das Ganze.«
»Wie immer«, sagte sie. »George«,
brabbelte sie. »George Smiley. Herr im Himmel. Der Herr beschütze und bewahre
uns. George. « Ihr Blick war halb besitzergreifend, halb tadelnd, als
wäre er ein auf Abwege geratener geliebter Sohn. Noch eine Weile hielt dieser
Blick ihn fest, dann schweiften ihre Augen hinüber zu den französischen
Fenstern und dem dunkelnden Himmel draußen.
»Kirow«, sagte er nochmals,
eindringlicher, und wartete, fragte sich allen Ernstes, ob es wirklich aus und
vorbei sei mit ihr; ob ihr Geist zusammen mit ihrem Körper verfalle und nichts
mehr zu holen sei.
»Kirow, Oleg«, wiederholte sie
nachdenklich. »Geboren Leningrad Oktober 1929, laut Reisepaß, was keinen
Pfifferling besagt, außer daß er Leningrad im ganzen Leben nicht einmal von
fern gesehen hat.« Sie lächelte, als sei dies eben der Lauf der schnöden Welt.
»Ankunft in Paris 1. Juni 1974, Rang und Stellung des Zweiten
Botschaftssekretärs, Handelsabteilung. Vor drei bis vier Jahren, sagten Sie?
Lieber Himmel, es könnten zwanzig sein. Stimmt, Darling, er war vom
Geheimdienst. Klar. Indentifiziert durch die Pariser Loge der armen alten
Riga-Gruppe, was uns auch nicht weiterhalf, schon gar nicht auf der fünften
Etage. Wie war sein richtiger Name? Kursky. Natürlich, so hieß er. Ja, ich
glaube, ich erinnere mich. Oleg Kirow, né Kursky, genau.« Ihr Lächeln kehrte
zurück und war wiederum sehr hübsch. »Dürfte so ziemlich Wladimirs letzter Fall
gewesen sein. Wie geht's dem alten Sünder?« fragte sie, und ihre feuchten
klugen Augen warteten auf die Antwort.
»Oh, in Hochform«, sagte Smiley.
»Immer noch der Jungfernschreck von
Paddington?«
»Bin ich überzeugt.«
»Hol's der Kuckuck, Darling«, sagte
Connie und drehte den Kopf, bis sie ihm das Profil zuwandte, das ganz dunkel
war bis auf den einen dünnen Strahl der Petroleumlampe, während sie wieder
durchs Fenster starrte.
»Gehen Sie raus und sehen Sie nach
dem verrückten Huhn, ja?« sagte sie liebevoll. »Am Ende hat sie sich in den
Mühlbach gestürzt oder den Universal-Unkrautvertilger ausgetrunken.«
Smiley trat hinaus auf die Veranda
und erspähte in der niedersinkenden Nacht Hilarys Gestalt, die mit ungelenken
langen Schritten von Käfig zu Käfig ging. Er hörte die Schöpfkelle gegen den
Eimer klappern und dann und wann ihre wohlerzogene Stimme durch die Nachtluft
klingen, wenn sie kindische Namen rief: Komm, Whitey, Flopsy, Bo.
»Alles in Ordnung«, sagte Smiley,
als er wieder ins Haus trat. »Füttert die Hühner.«
»Ich sollte sie ins andere Lager
schicken, meinen Sie nicht, George?« bemerkte sie, als habe sie seinen
Lagebericht nicht gehört. »>Zieh hinaus in die Welt, Hils, mein Kind.<
Das sollte ich sagen. >Bleib nicht länger bei einem morschen alten Wrack wie
Con. Heirate den nächstbesten Narren, wirf ein paar Bälger, erfülle deine
niederträchtige Bestimmung.<« Connie hatte für all und jeden eine besondere
Stimme, erinnerte er sich: sogar für sich selber. Sie hatte sie auch jetzt
noch. »Der Teufel soll mich holen, wenn ich's tue, George. Ich brauche sie.
Jeden prachtvollen Zentimeter. Ich würde sie mitnehmen, wenn's irgend möglich
wäre. Sollte man vielleicht wirklich versuchen.« Pause. »Wie geht's all
den Jungens und Mädels?«
Sekundenlang begriff er ihre Frage
nicht; seine Gedanken waren noch immer bei Hilary und Ann.
»Seine Gnaden Saul Enderby führen
immer noch die Meute an, ja? Frißt ordentlich, wie ich hoffe? Keine Staupe?«
»Oh, Saul entwickelt sich von Tag
zu Tag prächtiger, danke.« »Diese Kröte Sam Collins immer noch Leiter von
London Station?«
Lauter heikle Fragen, aber es blieb
ihm keine Wahl, er musste antworten.
»Sam geht's auch prima«, sagte er.
»Toby Esterhase schlängelt sich
nach wie vor durch die Korridore?«
»Alles ist noch ziemlich so, wie
früher.«
Ihr Gesicht lag nun für ihn völlig
im Dunkeln, so daß er nicht feststellen konnte,
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