Carre, John le
ob sie Miene machte,
weiterzusprechen. Er hörte sie atmen und das Rasseln in ihrer Brust. Aber er
wußte, daß er noch immer Gegenstand ihrer Aufmerksamkeit war.
»Sie würden nie und nimmer für dieses Pack arbeiten, George«,
bemerkte sie schließlich, als handelte es sich dabei um die augenfälligste
Binsenwahrheit. »Nicht Sie. Geben Sie mir noch einen Schluck.«
Smiley war froh, aufstehen zu
können und ging wieder quer durch das Zimmer.
»Kirow, sagten Sie?« rief Connie ihm zu.
»Stimmt«, sagte Smiley vergnügt und
kehrte mit ihrem frisch gefüllten Glas zurück.
»Dieses Frettchen Otto Leipzig war
die erste Hürde«, bemerkte sie voll Behagen, nachdem sie einen tüchtigen Zug
genommen hatte. »Die fünfte Etage wollte ihm kein Wort glauben, wie?
Nicht unserem kleinen Otto, oh nein! Otto war ein Lügenmaul, punktum!«
»Aber ich glaube nicht, daß Leipzig
uns jemals über Moskau belogen hat«, sagte Smiley, als kramte er
gleichfalls in Erinnerungen.
»Nein, Darling, das hat er
nicht«, sagte sie beifällig. »Er hatte seine Schwächen, zugegeben. Aber
wenn es um die große Sache ging, hat er immer ehrlich gespielt. Und Sie haben
das begriffen, als einziger Ihres Stammes, Respekt. Aber Sie erhielten wenig
Unterstützung von den übrigen Baronen, wie?«
»Auch Wladimir hat er nie belogen«,
sagte Smiley. »Allein schon deshalb, weil Wladimirs Fluchtkanäle ihm seinerzeit
aus Rußland heraushalfen.«
»Ja, ja,« sagte Connie nach einer
weiteren langen Pause.
»Kirow, né Kursky, das
Rote-Rübenschwein.«
Sie sagte es ein zweites Mal -
»Kirow, né Kursky« -, ein Sammelsignal an ihr eigenes ungeheuerliches
Gedächtnis. Während dieser Worte sah Smiley im Geist wiederum das Zimmer im
Flughafenhotel vor sich und die beiden seltsamen Verschwörer in ihren
schwarzen Mänteln: der eine so hünenhaft, der andere winzig; der alte General,
der seine Körpergröße einsetzte, um seinem leidenschaftlichen Flehen Nachdruck
zu verleihen; daneben der kleine Leipzig, wie ein Hündchen, das an der Leine
zerrt.
Connie war der Verführung erlegen.
Aus dem Glimmen der Petroleumlampe
war ein rauchiger Lichtball geworden, und Connie saß in ihrem Schaukelstuhl,
ganz vorn an der Kante, Mütterchen Rußland persönlich, wie sie im Circus
geheißen hatte, das zerrüttete Gesicht verklärt von Erinnerung, während sie
die Geschichte dieses einen ihrer ungezählten mißratenen Kinder entrollte. Was
auch immer sie als wahren Grund für Smileys Auftauchen argwöhnen mochte, sie
schob es von sich: Dies war ihr Lebensinhalt gewesen, ihr Hohelied, auch wenn
sie es nun zum letztenmal sang; in diesen überwältigenden Gedächtnisleistungen
lag ihr Genie. In den alten Tagen, dachte Smiley, hätte sie mit ihm geflirtet,
mit ihrer Stimme kokettiert, gewaltige Bogen durch anscheinend Unwesentliches
zur Geschichte der Moskauer Zentrale geschlagen, alles nur, um ihn näher zu
locken. Doch heute abend war ihr Erzählstil von erschreckender Nüchternheit,
als wisse sie, daß ihr nur noch wenig Zeit blieb.
Oleg Kirow sei direkt aus Moskau in
Paris eingetroffen, wiederholte sie - damals im Juni, Darling, wie ich schon
sagte -, damals, als es regnete und regnete und das alljährliche Cricketmatch
von Sarratt drei Sonntage nacheinander abgesagt werden mußte. Der Fette Oleg
wurde als Einzelgänger geführt, und er löste auch niemand anderen ab. Sein
Schreibtisch stand in der zweiten Etage mit Blick auf die Rue Saint-Simon -
verkehrsreich, aber hübsch, Darling -, während die Residentur der Moskauer
Zentrale sich im dritten und vierten Stock breit machte, zum wütenden Ärger des
Botschafters, der sich von seinen ungeliebten Nachbarn wie in einen Schrank
gepfercht fühlte. Nach außen hin schien Kirow daher auf den ersten Blick ein
weißer-Rabe im diplomatischen Corps der Sowjets zu sein - nämlich ein echter
Diplomat. Aber in Paris war es damals Usus - und, soviel Connie wußte, auch
noch heutzutage -, daß, sobald in der Sowjetbotschaft ein neues Gesicht
auftauchte, sein Foto an alle Stammeshäuptlinge der Emigranten verteilt wurde.
Brüderchen Kirows Foto gelangte ebenfalls auf diesem Weg an die Gruppen, und im
Handumdrehen donnerte dieser alte Teufel Wladimir im Zustand höchster Erregung
an die Tür seines Einsatzleiters -Steve Mackelvore war damals Resident in Paris
gewesen, Gott hab ihn selig, er starb bald danach an Herzversagen, aber das ist
eine andere Geschichte - und behauptete, »seine Leute« hätten Kirow als
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