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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krieg im Spiegel (Smiley Bd 4)
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Lippen.
    »Es ist nur eine rohe Skizze«,
sagte Leclerc. Leiser ließ sich wieder auf seinem Platz nieder, saß in
besonders strammer Haltung. »Verstehe. Verzeihung.«
    Als die
Besprechung zu Ende war, nahm Leclerc Avery beiseite. »Noch etwas, Avery: er
darf die Pistole nicht mitnehmen. Das kommt gar nicht in Frage. Der Minister
war in dieser Frage völlig unzugänglich. Vielleicht könnten Sie es ihm
gegenüber erwähnen.«
    »Keine
Pistole?«
    »Ich
glaube, daß wir ihm das Messer lassen können. Es ist ein Allzweckgerät. Ich
will damit sagen, daß wir im Fall von Schwierigkeiten immer behaupten können,
daß er es nur für allgemeine Zwecke bei sich hatte.« Nach dem Essen besichtigten
sie die Grenze. Gorton hatte einen Wagen zur Verfügung gestellt. Leclerc hatte
eine Handvoll Notizen mitgebracht, die er nach einem Rondell-Bericht über das
Grenzgebiet angefertigt hatte. Diese Zettel, zusammen mit einer gefalteten
Landkarte, lagen vor ihm auf seinem Schoß. Die zwischen den beiden Hälften
Deutschlands verlaufende Grenze ist auf weite Strecken ein Ding von
erschreckender Inkonsequenz. Wer dort nach Panzersperren oder
Befestigungsanlagen Ausschau hält, wird ziemlich enttäuscht sein. Sie verläuft
durch eine sehr abwechslungsreiche Landschaft aus Gräben, niedrigen, mit
Farnkraut bewachsenen Hügeln und kleinen Inseln ungepflegten Waldes. Oft sind
die östlichen Sperren so weit hinter der Demarkationslinie, daß es den
Anschein hat, sie sollten vor westlichen Blicken verborgen bleiben - die
Phantasie erhält nur da und dort von einem einzelnen Unterstand, einem
unbenutzten Feldweg, einem leer und verlassen dastehenden Bauernhaus oder
einem der verstreut stehenden Wachttürme Nahrung.
    Die
westliche Seite ist an mehreren Stellen mit grotesken Denkmälern der
politischen Kraftlosigkeit herausgeputzt: aus einem brachliegenden Feld ragt
ohne erkennbaren Sinn ein Sperrholzmodell des Brandenburger Tores, das von
rostenden Schrauben zusammengehalten wird; große, von Wind und Regen mitgenommene
Plakattafeln verkünden fünfzehn Jahre alte Schlagworte über ein leeres Tal
hinweg. Nur in der Nacht, wenn der Lichtkegel eines Scheinwerfers aus der
Dunkelheit bricht und als unruhiger Finger über die kalte Erde tastet, krampft
sich das Herz im Gedanken an den Flüchtling zusammen, der wie ein Hase in der
Ackerfurche dahinkriecht und auf den Augenblick wartet, in dem er aus der Deckung
hervorbrechen und voller Entsetzen so lange davonstürzen wird, bis ihn die
Kugel ereilt.
    Sie fuhren
auf der Schotterstraße, die sich am Kamm des Hügels dahinzieht. An jenen
Stellen, an denen die Straße der Grenze besonders nahe kommt, hielten sie an
und stiegen aus. Leiser war in einen Regenmantel gehüllt und hatte einen Hut
auf. Es war sehr kalt. Leclerc trug seinen Dufflecoat und hatte einen Jagdstock
mit, den er weiß Gott wo gefunden haben mochte. Als sie das erstemal, das
zweitemal und schließlich noch einmal hielten, sagte Leclerc ruhig: »Hier
nicht.« Als sie zum viertenmal wieder ins Auto kletterten, erklärte er: »Die
nächste Station ist unsere.« Es war die Art Scherz, mit der man sich gerne in
der Schlacht Mut macht.
    Avery
hätte die Stelle auf Grund von Leclercs Planskizze niemals erkannt. Der Hügel
war da, das schon, auch seine Krümmung in Richtung zur Grenze und der steile
Abhang an seinem Ende. Aber das Gelände jenseits der Grenze war wieder hügelig
und teilweise bewaldet, und sein Horizont war mit Baumwipfeln wie mit Fransen
besetzt, vor denen sie mit Hilfe ihrer Feldstecher die braunen Umrisse eines
hölzernen Turmes erkennen konnten. »Es ist zwischen den drei Pfosten auf der
linken Seite«, sagte Leclerc. Als sie die Talsenke mit ihren Gläsern genau
untersuchten, konnte Avery hier und da ein verwachsenes Stück des alten Weges
sehen.
    »Er ist
vermint. Der Weg ist auf der ganzen Strecke vermint. Vom Fuß des Hügels an
gehört das Gelände schon zu drüben.« Leclerc wandte sich zu Leiser. »Sie gehen
von hier los, und zwar«
    - er
deutete mit dem Jagdstock - »bis zum Abhang vor, wo Sie bis zum genauen
Zeitpunkt des Abmarsches liegen bleiben. Wir werden Sie genügend lange vorher
schon herbringen, damit sich Ihre Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnen
können. Ich glaube, daß wir jetzt gehen sollten. Wir dürfen nämlich kein Aufsehen
erregen.«
    Während
der Fahrt zurück ins Haus klatschte der Regen gegen die Windschutzscheibe und
trommelte auf das Dach des Wagens. Avery, der neben Leiser saß, war

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