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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krieg im Spiegel (Smiley Bd 4)
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in Gedanken
versunken. Er glaubte, ein besonders objektiver Beobachter zu sein, als er
sich nun klarmachte, daß in derselben Angelegenheit, in der Leiser die Rolle
aus einer Tragödie zu spielen hatte, er selbst eine Lustspielfigur verkörperte.
Er verstand, daß er einem irrsinnigen Stafettenlauf zusah, bei dem jeder Teilnehmer
schneller und länger rannte als sein Vorläufer, und dessen Ziel die eigene
Vernichtung war.
    »Übrigens«,
sagte er unvermittelt zu Leiser, »sollten Sie nicht etwas mit Ihren Haaren
machen? Ich kann mir nicht vorstellen, daß die da drüben an derartige Pomaden
gewöhnt sind. So was kann dann plötzlich gefährlich sein.«
    »Er
braucht es nicht schneiden zu lassen«, urteilte Haldane. »Die Deutschen lieben
es, lange Haare zu haben. Sie sollten es nur waschen, Fred, mehr nicht. Nur das
Öl herauswaschen. - Sehr richtig beobachtet, John, ich gratuliere.«
     
    17. Kapitel
     
    Der Regen
hatte aufgehört. Langsam und sich gegen den Wind sträubend, kam die Nacht. Sie
saßen im Bauernhaus um den Tisch und warteten. Leiser war in seinem Zimmer.
Johnson hatte Tee gekocht und beschäftigte sich mit seinem Gerät. Niemand
sprach. Die Zeit der Verstellung war vorüber. Nicht einmal Leclerc, sonst ein
Meister der leeren Phrasen, gab sich noch Mühe, das Schweigen zu brechen. Es
schien ihm einfach unangenehm, daß man ihn warten ließ wie bei der verspäteten
Hochzeit eines Bekannten. Sie waren in einen Zustand träger Furcht geraten, wie
die Besatzung eines Unterseebootes, über deren Köpfe gemächlich eine Lampe
hin und her pendelt. Ab und zu wurde Johnson vor die Tür geschickt, um nach dem
Mond zu sehen, und jedesmal berichtete er, er sei nicht sichtbar.
    »Die
Berichte der Wetterfrösche waren ziemlich günstig«, meinte Leclerc und
entfernte sich in Richtung Dachboden, wo er Johnson bei der Überprüfung seiner
Geräte zusah.
    Als Avery mit Haldane allein war,
sagte er schnell: »Er sagt, das Ministerium habe sich gegen die Pistole entschieden.
Er darf keine mitnehmen.«
    »Welcher verdammte Narr hat ihm
gesagt, das Ministerium überhaupt um Erlaubnis zu bitten?« fragte Haldane
wütend. Dann meinte er: »Sie werden es ihm sagen müssen. Es hängt von Ihnen ab.«
    »Es Leclerc zu sagen?«
    »Nein, Sie Idiot. Leiser!«
    Sie aßen
etwas, danach gingen Haldane und Avery mit Leiser in sein Zimmer zurück.
    »Wir
müssen Sie jetzt verkleiden«, sagten sie.
    Sie ließen
ihn sich ausziehen, wobei sie ihm Stück für Stück die warme und teure Kleidung
wegnahmen:
    Jacke und
Hose in aufeinander abgestimmtem Grau, cremefarbenes Seidenhemd, schwarze
kappenlose Schuhe, dunkelblaue Nylonsocken. Beim Lösen des Krawattenknotens
stießen seine Finger auf die goldene Nadel mit dem Pferdekopf. Er zog sie
vorsichtig heraus und hielt sie Haldane hin. »Was ist damit?«
    Haldane hatte für die
Wertgegenstände Umschläge mitgebracht. In einen davon steckte er nun die Nadel,
klebte ihn zu und warf ihn, nachdem er etwas darauf geschrieben hatte, aufs
Bett. »Ihr Haar haben Sie gewaschen?«
    »Ja.«
    »Wir haben keine ostdeutsche Seife
auftreiben können. Tut mir leid, aber Sie werden sich drüben selbst welche
besorgen müssen. Soviel ich weiß, ist sie gerade knapp.«
    »In Ordnung.«
    Nackt bis
auf die Armbanduhr, saß Leiser nun auf dem Bett, vorgebeugt, die kräftigen Arme
über den haarlosen Schenkeln gekreuzt. Die Kälte überzog seinen weißen Körper
mit einer Gänsehaut. Haldane öffnete einen Koffer und zog ein Bündel Kleider
sowie ein halbes Dutzend Paar Schuhe heraus. Während Leiser die ungewohnten
Kleidungsstücke anzog - die weit geschnittene, an den Beinen breite und an der
Hüfte zusammengezogene Hose aus billigem Baumwollstoff, die schäbige, Falten
werfende, graue Jacke, die unnatürlich hell gefärbten braunen Schuhe -, schien
er vor ihren Augen zusammenzuschrumpfen und sich in irgendeinen früheren
Zustand zurückzuverwandeln, den sie nur erahnt hatten. Ohne das Öl zeigte sein
braunes Haar jetzt graue Strähnen und fiel unordentlich über Stirn und Ohren.
Er warf ihnen einen schüchternen Blick zu, als habe er ein Geheimnis verraten:
ein Bauer in der Gesellschaft der Gutsherrenschaft. »Wie sehe ich aus?«
    »Sehr
gut«, sagte Avery. »Sie sehen großartig aus, Fred.«
    »Was ist mit einem Schlips?«
    »Ein Schlips würde das Ganze
zerstören.« Er probierte alle Schuhe aus, wobei es ihm Schwierigkeiten machte,
sie über die groben Wollsocken zu ziehen.
    »Es sind
polnische«, sagte

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