Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krieg im Spiegel (Smiley Bd 4)
Vom Netzwerk:
angegeben?«
    »Bedaure, ich verstehe nicht.«
    »Als nächste Verwandte. Warum hat
Malherbe nicht seine Mutter, sondern Sie angegeben?« Vielleicht war die Frage
nicht ernst gemeint, vielleicht diente sie ihm nur dazu, Avery zum Reden zu
bringen, auf jeden Fall aber war sie lästig. Avery war noch immer von der
Reise abgespannt und wünschte, ohne Vorbehalte betrachtet und nicht diesem
Verhör unterworfen zu werden. Es kam ihm auch zum Bewußtsein, daß er sein
angebliches Verwandtschaftsverhältnis mit Taylor nicht genügend ausgearbeitet
hatte. Was hatte Leclerc in dem Fernschreiben angegeben: Halbbruder oder
Stiefbruder? Nervös versuchte er sich eine Folge von Familienereignissen
vorzustellen, die ihm zu einer Antwort auf Sutherlands Frage hätten verhelfen
können - Todesfälle, Wiederverheiratung oder zerrüttete Ehen.
    »Hier ist
das Hotel«, sagte der Konsul plötzlich und fügte dann hinzu: »Das geht mich
natürlich nichts an. Er kann angeben, wen immer er will.« Entrüstung war bei
Sutherland zur Gewohnheit geworden, fast eine Philosophie. Er sprach immer so,
als liege jedes seiner Worte in ständigem Widerspruch zur allgemeinen Auffassung.
    Schließlich
sagte Avery: »Sie ist alt. Man wollte sie vor einem Schock bewahren. Ich nehme
an, daß er daran gedacht hat, als er das Paßformular ausfüllte. Sie war krank,
sie hat ein schwaches Herz. Sie ist operiert worden.« Es klang sehr kindisch. »Aha.«
    Sie hatten
den Stadtrand erreicht. »Es muß eine Leichenschau gemacht werden«, sagte
Sutherland. »Das ist hier Gesetz, wenn es sich um einen gewaltsamen Tod
handelt.«
    Darüber
wird Leclerc verärgert sein. Sutherland fuhr fort: »Das erschwert uns die Formalitäten.
Die Kriminalpolizei behält den Toten, bis die Leichenschau beendet ist. Ich
bat sie, sich zu beeilen, aber man kann sie nicht drängen.«
    »Danke.
Ich habe daran gedacht, die Leiche per Flugzeug überführen zu lassen.« Als sie
von der Hauptstraße auf den Marktplatz einbogen, fragte Avery beiläufig, als
habe er an der Antwort kein persönliches Interesse: »Was geschieht mit seinen
Sachen? Ich nehme sie wohl am besten an mich, nicht wahr?«
    »Ich
bezweifle, daß die Polizei sie Ihnen aushändigen wird. Dazu muß der
Staatsanwalt seine Erlaubnis gegeben haben. Der Bericht des Totenbeschauers
geht zuerst an ihn; er gibt dann die Leiche frei. Hat Ihr Bruder ein Testament
hinterlassen?«
    »Ich habe
keine Ahnung.«
    »Sie wissen nicht zufällig, ob Sie
als Testamentsvollstrecker bestimmt wurden?«
    »Nein.«
    Sutherland
ließ ein trockenes, nachsichtiges Lachen hören. »Ich kann mich nicht des
Eindrucks erwehren, daß Sie ein bißchen voreilig sind. Nächster Verwandter ist
nicht ganz das gleiche wie Testamentsvollstrecker«, sagte er. »Ich fürchte, das
gibt Ihnen keine rechtliche Handhabe, abgesehen von der Verfügung über die
Leiche.« Er machte eine Pause, drehte sich um und sah über die Lehne seines
Sitzes durchs Rückfenster hinaus, während er den Wagen in eine Parklücke
manövrierte. »Selbst wenn die Polizei mir die persönlichen Effekten Ihres
Bruders aushändigt, bin ich nicht berechtigt, sie Ihnen zu übergeben, ehe ich
nicht Weisung vom Auswärtigen Amt habe. Und dort«, setzte er schnell hinzu, da
Avery ihn unterbrechen wollte, »werden sie mir keine derartige Weisung
erteilen, ehe nicht eine beglaubigte Abschrift des Testaments oder eine
Verfügung der Verwaltungsbehörde vorliegt.« Tröstend fügte er hinzu: »Aber ich
kann Ihnen einen Totenschein ausstellen.« Er öffnete seine Tür. »Falls die
Versicherungsgesellschaften ihn verlangen.«
    Er warf
Avery einen Blick von der Seite zu, als frage er sich, ob er überhaupt etwas
erben würde. »Das kostet Sie fünf Shilling für die Ausfertigung und fünf
Shilling für jede beglaubigte Abschrift. - Was haben Sie gesagt?«
    »Nichts.«
    Sie
stiegen beide die Treppen zur Polizeidirektion hinauf.
    »Wir
werden mit Inspektor Peersen zu tun haben«, erklärte Sutherland. »Er ist recht
nett. Sie werden bitte alles mir überlassen.«
    »Selbstverständlich.«
    »Er hat mich immer sehr großzügig
bei den Heimführungsfällen unterstützt.«
    »Bei den was?«
    »Bei den
Heimführungen von britischen Staatsbürgern, die hier gestrandet sind. Wir
haben im Sommer einen Fall pro Tag. Sie sind eine Schande. Übrigens, hat Ihr
Bruder viel getrunken? Es sind einige Hinweise dafür vorhanden.«
    »Es ist
möglich«, sagte Avery. »Ich habe ihn in den letzten paar Jahren kaum

Weitere Kostenlose Bücher