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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krieg im Spiegel (Smiley Bd 4)
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den Namen Freiser zu suchen. Er ließ in allen Namenslisten nachsehen - ohne
Erfolg. Als Avery andeutete, Haldane messe dem Zwischenfall wohl zuviel
Bedeutung bei, schüttelte der andere den Kopf. »Wir warten auf den zweiten
Schwur«, sagte er.
    Nach Hydes
Besuch erhielt Leiser nun täglich Unterricht über seine neue Identität. Er,
Avery und Haldane entwarfen Schritt für Schritt eine bis ins kleinste Detail
gehende Lebensgeschichte des Mannes Hartbeck. Sie führten ihn in seinen
Berufsalltag ein, in seine Vorlieben und Freizeitgewohnheiten, sein
Liebesleben und die Wahl seines Freundeskreises. Zusammen drangen sie bis in
die entlegensten Ecken des mutmaßlichen Daseins dieses Mannes vor, verliehen
ihm Fähigkeiten und Eigenschaften, die Leiser selbst kaum besaß.
    Woodford
brachte die neuesten Nachrichten aus London.
    »Der
Direktor hält sich großartig.« Die Art, in der Woodford das sagte, klang, als
ringe Leclerc mit einer schweren Krankheit. »Heute in einer Woche fahren wir
nach Lübeck. Jimmy Gorton hat sich um die deutschen Grenzer gekümmert. Er
sagt, sie seien ziemlich zuverlässig. Wir haben die Stelle für den Übergang
festgelegt, und ein Bauernhaus außerhalb der Stadt gemietet. Er hat
ausgestreut, wir wären eine Gruppe von Wissenschaftlern, die Ruhe und frische
Luft haben wollen.« Woodford warf Haldane einen Blick geheimen
Einverständnisses zu. »Die Organisation arbeitet großartig. Wie 'ne Eins. Und
welcher Geist dahintersteckt, Adrian! Jetzt fragt kein Mensch nach den
Dienststunden. Oder nach dem Rang - Dennison, Sandford. wir sind einfach ein
Team, Sie sollten mal sehen, wie sich Clarkie im Ministerium wegen der Pension
für die Frau des armen Taylor schlägt.« Mit leiser Stimme setzte er hinzu: »Wie
macht sich Mayfly?«
    »Ganz gut.
Er ist oben und morst.«
    »Seine
Nerven? Ist er noch mal so explodiert, oder was Ähnliches?«
    »Nicht,
daß ich wüßte«, erwiderte Haldane, als sei es ohnehin nicht zu erwarten, daß er
Bescheid wisse.
    »Entwickelt
er Unternehmungslust? Manchmal wollen sie hin und wieder ein Mädchen.« Woodford
hatte Zeichnungen von sowjetischen Raketen mitgebracht. Sie waren von
Zeichnern des Ministeriums nach Fotografien aus der Auswertungsabteilung
angefertigt worden und maßen 60 mal 90 Zentimenter. Man hatte sie säuberlich
auf Karton aufgezogen. Einige waren als Geheimsache gestempelt. Besonders
wichtige Merkmale waren mit kleinen Pfeilen bezeichnet, und die Beschriftung
wirkte seltsam kindisch: Flosse, Spitze, Treibsatz, Ladung. Neben jeder Rakete
stand eine lustige kleine Figur, die wie ein Pinguin mit Sturzhelm aussah, und
daneben hieß es in Druckschrift: »Menschliche Durchschnittsgröße«. Woodford
verteilte sie an den Wänden des Zimmers, als seien sie sein eigenes Werk. Avery
und Haldane sahen ihm schweigend dabei zu.
    »Er kann
sie sich nach dem Essen ansehen«, sagte Haldane. »Lassen Sie sie bis dahin
zusammen.«
    »Ich habe
auch einen Film mitgebracht, um ihm etwas Hintergrundinformationen zu geben:
Startvorbereitungen, wie diese Dinge transportiert werden, ein bißchen über
ihre Zerstörungskraft. Der Direktor meinte, es wäre nicht schlecht, wenn er
weiß, was man damit anrichten kann. Es könnte ihn anfeuern.«
    »Er
braucht keine Anfeuerung«, sagte Avery. Dann fiel Woodford etwas ein. »Ach ja:
Ihr kleiner Gladstone möchte mit Ihnen sprechen. Er sagte, es sei dringend -
wußte nur nicht, wie er Sie erreichen kann. Ich sagte ihm, Sie würden anrufen,
sobald Sie Zeit haben. Offenbar haben Sie ihn gebeten, irgendwas im
Mayfly-Gebiet zu erledigen. Wegen der Industrie - oder waren es Manöver? Er
sagte, er hätte die Antwort jetzt vorliegen. Er gehört zur besten Kategorie
untergeordneter Dienstgrade, dieser Bursche.« Nach einem Blick zur Decke fragte
er: »Wann kommt Fred herunter?«
    Haldane
sagte scharf: »Ich möchte nicht, daß Sie ihn sehen, Bruce.« Es kam nicht oft
vor, daß Haldane einen Vornamen benützte. »Sie werden leider in der Stadt
essen müssen. Verrechnen Sie es.«
    »Warum
denn das, um Himmels willen?«
    »Sicherheit.
Ich sehe keine Notwendigkeit, daß er mehr Leute von uns kennt, als unbedingt
erforderlich ist. Die Zeichnungen sprechen für sich selbst. Nehme an, der Film
nicht weniger.«
    Woodford
ging, zutiefst verletzt. Jetzt wußte Avery, daß Haldane Leisers Irrglauben
aufrechterhalten wollte, die Organisation beschäftige keine Trottel. Für den
letzten Tag des Kurses hatte Haldane eine ausgedehnte Übung vorgesehen, die

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