Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eine Art Held (Smiley Bd 6)
Vom Netzwerk:
Verglichen mit der Rasanz der Haupthandlung war die Art, wie
Craw den Zeitpunkt für sein Tun und Nichttun wählte, zwar nur ein Nebeneffekt,
aber sie blieb denkwürdig bis auf den heutigen Tag. Drei Wochen lang schickte
er gar nichts ein. Es gab ein paar Kleinigkeiten, um die er sich hätte kümmern
sollen, aber er tat es nicht. Luke, der sich ernstlich um ihn Sorgen machte,
hielt es zunächst für ein Zeichen fortschreitenden rätselhaften Verfalls. Craw
verlor jeden Schwung und jedes Bedürfnis nach Geselligkeit. Er wurde schwierig
und zuweilen ausgesprochen unfreundlich und bellte die Kellner in schlechtem
Kantonesisch an; sogar Goh, seinen Liebling. Er behandelte die Shanghai Bowlers
wie seine schlimmsten Feinde, und grub angebliche Missetaten aus, die sie
längst vergessen hatten. Er saß allein auf seinem Fensterplatz wie ein alter
Boulevardier in mageren Zeiten, verbiestert, abweisend, untätig. Dann verschwand
er eines Tages, und als Luke voll banger Ahnungen seine Wohnung aufsuchte,
teilte ihm die alte Amah mit, »Whisky Papa lauflauf London, laschlasch«. Sie
war ein sonderbares kleines Wesen, und Luke glaubte ihr nicht recht. Ein
stumpfsinniger Schreiber des Spiegel berichtete,
er habe Craw in Vientiane in der Constellation Bar bechern sehen, aber auch das
schien Luke fragwürdig. Die Insider hatten sich schon immer einen Sport daraus
gemacht, Old Craw zu beobachten, und jede zusätzliche Information erhöhte das
eigene Prestige. Bis eines schönen Montags so gegen Mittag der alte Knabe in
einem neuen beigen Anzug mit eleganter Knopflochblume in den Club spaziert kam,
voller Anekdoten und Lächeln, ganz wie ehedem, und sich an die High-Haven-Story
machte. Er gab mehr Geld aus, als sein Blatt ihm normalerweise zugestanden
hätte. Er verzehrte mehrere vergnügte Mahlzeiten mit gutgekleideten Amerikanern
von recht vage bezeichneten US-Organisationen, darunter ein paar, die Luke
bekannt waren. Den berühmten Strohhut auf dem Kopf, führte er jeden einzeln in
ein ruhiges, ausgewähltes Restaurant. Im Club wurde er als Diplomatenknecht
geschmäht, eine schwere Anschuldigung, und er lachte dazu. Danach mußte er zu
einer Konferenz der China-Beobachter nach Tokio, und rückblickend darf wohl
angenommen werden, daß er diesen Besuch nutzte, um nach weiteren Bestandteilen
der Story zu recherchieren, die langsam für ihn Gestalt annahm. Bestimmt bat er
alte Bekannte bei dieser Konferenz, das eine oder andere für ihn auszugraben,
sobald sie wieder zu Hause sein würden, in Bangkok oder Singapur oder Taipeh
oder woher immer sie gekommen waren, und sie taten ihm den Gefallen, weil sie
wußten, daß er das gleiche auch für sie getan hätte. Auf geheimnisvolle Weise
schien er zu wissen, wonach er suchte, noch ehe sie es gefunden hatten.
    Das
Ergebnis erschien in voller Ausführlichkeit in einer Sydneyer Morgenzeitung,
die für den langen Arm der anglo-amerikanischen Zensur unerreichbar war. Alle
fanden, daß es an die besten Jahre des Meisters erinnerte. Ein Artikel von
zweitausend Wörtern. Typischerweise stand keineswegs die High-Haven-Story im
Vordergrund, sondern der »geheimnisvolle leere Flügel« der britischen Botschaft
in Bangkok, der bis vor einem Monat eine seltsame Körperschaft namens »The
Seato Coordination Unit« beherbergt hatte und außerdem eine Visa-Abteilung mit
sage und schreibe sechs Zweiten Sekretären. Waren es die Freuden der
Massage-Salons von Soho, so fragte der alte Australier zuckersüß, die die
Thailänder in solcher Anzahl nach England lockten, daß man zur Bearbeitung
ihrer Visa-Anträge sechs Zweite Sekretäre benötigte? Sonderbar desgleichen, so
seine weiteren Überlegungen, daß sich nach ihrer Abreise und der Schließung
des betreffenden Gebäudeflügels keine Warteschlangen
von Reisewilligen vor der Botschaft bildeten. Ganz allmählich - er schrieb mit
leichter Hand, aber immer wohlüberlegt - tat sich ein überraschendes Bild vor
seinen Lesern auf. Er bezeichnete den britischen Geheimdienst als den »Circus«.
Er sagte, der Name komme von der Adresse dieser Organisation, deren
Hauptquartier an einem berühmten Platz in London stehe. Der Circus hatte sich
nicht nur aus High Haven abgesetzt, sagte er, sondern auch aus Bangkok,
Singapur, Saigon, Tokio, Manila und Djakarta. Und aus Seoul. Sogar das
entlegene Taiwan sei nicht immun, dort sei festgestellt worden, daß ein
zweitrangiger britischer Resident drei Schreiber-Chauffeure und zwei
Sekretariatsgehilfen abgestoßen habe, nur

Weitere Kostenlose Bücher