Carre, John le
eine Woche ehe dieser Artikel in
Druck gegangen sei. »Das Dünkirchen der Spione«, hatte Craw es genannt, »wobei
Chartermaschinen vom Typ DC 8 die
Fischerboote aus Kent ersetzten.«
Was hatte
einen solchen Exodus ausgelöst? Craw bot mehrere geistreiche Theorien an. Waren
wir Zeugen einer weiteren Beschneidung der Staatsausgaben? Der Autor hatte da
seine Zweifel. In ihren schweren Stunden neigte Britannia eher dazu, mehr,
nicht weniger Wert, auf ihre Spione zu legen. Die ganze Geschichte des Empire
bewies das. Je schmaler die Handelswege, desto raffinierter die geheimen
Bemühungen, sie zu schützen. Je mehr sich der Zugriff auf die Kolonien
lockerte, desto verzweifelter der Kampf gegen jene, die ihn vollends lösen
wollten. Nein: Großbritannien mochte bei Wasser und Brot schmachten, seine
Spione würden der letzte Luxus sein, den es aufgäbe. Craw zeigte noch weitere
Möglichkeiten auf und tat sie sogleich wieder ab. Eine Geste der Entspannung
gegenüber China? fragte er, wie vor ihm schon der Cowboy. Gewiß würde England
alles Menschenmögliche tun, um Hongkong vor Maos antikolonialistischem Eifer
zu bewahren - alles, nur nicht seine Spione opfern. Und so kam Old Craw
schließlich zu seiner Lieblingstheorie: »Quer über das ganze Fernöstliche
Schachbrett«, schrieb er, »ging der Circus, wie man im Fachjargon sagt, auf
Tauchstation.« Aber warum?
Der
Schreiber zitierte nun seine »verehrten amerikanischen Amtsbrüder von der
streitenden Geheimkirche in Asien«. Amerikanische Geheimdienstler seien
allerorts, so sagte er, nicht nur in Asien, »fuchsteufelswild über die laxe
Sicherheitshandhabung bei den britischen Dienststellen«. Am verbittertsten
seien sie über die kürzliche Entdeckung eines hohen russischen Spions - er warf
hier das Fachwort »Maulwurf« ein - innerhalb des Londoner Hauptquartiers, eben
des Circus: eines britischen Verräters, dessen Namen sie nicht nennen wollten,
der jedoch mit den Worten der verehrten Amtsbrüder »jede auch nur einigermaßen
nennenswerte anglo-amerikanische Geheimoperation während der letzten zwanzig
Jahre zunichte gemacht« habe. Wo war der Maulwurf jetzt?, habe der Schreiber
seine Quellen gefragt. Worauf sie mit unverhohlener Erbitterung geantwortet
hätten: »Tot. In Rußland. Und hoffentlich beides.«
Craw war
nie um einen effektvollen Schluß verlegen gewesen, aber dieser hatte für Lukes
liebendes Auge etwas geradezu Erhabenes. Er war beinah eine Aussage über das
Leben selbst, und sei es nur über das geheime Leben.
»Ist Kim,
der junge Spion, für immer aus den Legenden des Fernen Ostens verschwunden?«
fragte er. »Soll der englische Pundit nie wieder seine Haut färben und seinen
Platz am Dorffeuer einnehmen? Fürchtet euch nicht«, donnerte er. »Die Briten
werden zurückkommen! Der altehrwürdige Sport der Spionenjagd wird Urständ
feiern! Der Spion ist nicht tot: er tut nur einen tiefen Schlaf.«
Der
Artikel erschien. Im Club wurde er flüchtig bewundert, beneidet, vergessen.
Eine örtliche englischsprachige Zeitung mit starken amerikanischen Verbindungen
druckte ihn ungekürzt nach, mit dem Erfolg, daß die Eintagsfliege noch weitere
vierundzwanzig Stunden leben durfte. Die Benefiz-Vorstellung des alten Knaben,
sagten sie: eine letzte Reverenz, ehe er von der Bühne abtrat. Dann brachten
ihn die überseeischen Sender von BBC, und schließlich strahlte der müde Sender
der Kolonie eine Version der Version von BBC aus, und einen vollen Tag lang wurde
die Frage erörtert, ob Big Moo beschlossen habe, den örtlichen Medien den
Maulkorb abzunehmen. Doch obwohl inzwischen Wochen vergangen waren, sah weder
Luke noch der Zwerg sich zu der Frage veranlaßt, wieso zum Teufel der Alte den
Hintereingang zu High Haven gekannt hatte. Was nur bewies, wenn ein Beweis
jemals nötig war, daß Journalisten genauso lange brauchen wie gewöhnliche
Sterbliche, bis sie spitzkriegen, was sich vor ihrer eigenen Nase tut.
Schließlich tobte an jenem Sonnabend der Taifun.
Im Circus
selbst, wie Old Craw den Sitz des britischen Geheimdienstes zutreffend benannt
hatte, löste der Artikel unterschiedliche Reaktionen aus, je nachdem, wieviel
die Betroffenen wußten. Bei den Housekeepers zum Beispiel, die für das bißchen
Tarnung verantwortlich waren, mit dem sich der Circus zur Zeit umgeben konnte,
löste der alte Knabe eine Woge aufgestauten Zorns aus, wie sie nur ein Mensch
verstehen kann, der die Atmosphäre in einer Geheimdienststelle im
Belagerungszustand kennt. Sogar
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