Carre, John le
Männer! Nimmt Kurs gen Osten, hört ihr,
arbeitet immer noch für das gleiche Revolverblatt!«
»Seine Lordschaft !« schrie
der Zwerg mit gespielter Begeisterung.
»Endlich ein Schuß
blaues Blut, damit hier ein anderer Ton einkehrt! Es lebe der
Adel! Mit einem gemeinen Fluch schleuderte er eine Serviette
nach dem Flaschenregal. »Herrgott«, sagte er und trank Lukes Glas aus.
Der große
Ruf
Am
Nachmittag traf das Telegramm ein. Jerry Westerby saß auf der Schattenseite des
Balkons vor seinem heruntergekommenen Bauernhaus und hackte auf der
Schreibmaschine, der Sack mit alten Büchern lag zu seinen Füßen. Den Umschlag
brachte die schwarzgewandete Gestalt der Postmeisterin höchstpersönlich, eine
finstere und ungehobelte Bäuerin, die durch den Rückzug der einstigen Führungsschicht
zur ersten Macht in diesem toskanischen Drecknest geworden war. Sie war schon
eine alte Hexe, aber eine so dramatische Gelegenheit wie heute konnte sie sich
einfach nicht entgehen lassen, und so stapfte sie trotz der Hitze zügig den
staubigen Pfad hinan. In ihrem Postbuch wurde der historische Augenblick später
um fünf Uhr sechs festgehalten, was glatter Schwindel war, der Sache jedoch
Nachdruck verlieh. Die wahre Zeit war punkt fünf Uhr. Im Haus hämmerte
Westerbys zaundürres Mädchen, im Dorf die Waise genannt, auf ein zähes Stück
Ziegenfleisch ein, voll Erbitterung, wie sie alles betrieb. Das gierige Auge
der Postmeisterin machte sie schon aus beträchtlicher Entfernung hinter dem
offenen Fenster aus: Ellbogen nach allen Seiten gespreizt und die oberen Zähne
in die Unterlippe gepreßt: und bestimmt, wie üblich, mürrischen Blicks. »Hure«,
dachte die Postmeisterin aufgebracht, »jetzt hast du's doch noch erwarten
können.«
Das Radio
schmetterte Verdi: die Waise mochte nur klassische Musik, wie das ganze Dorf
seit jenem Abend in der Taverne wußte, als sie eine Szene gemacht hatte, nur
weil der Dorfschmied Rockmusik aus der Jukebox spielen ließ. Sie hatte einen
Krug nach ihm geworfen. Und der Verdi und die Schreibmaschine und die Ziege?,
sagte sich die Postmeisterin. Der Krach war so ohrenbetäubend, daß ihn sogar
ein Italiener gehört hätte. Jerry saß, so erinnerte sie sich, wie eine
Heuschrecke auf dem Holzboden - vielleicht auch auf einem Kissen - und benutzte
den Büchersack als Fußschemel. Er hockte mit auswärts gerichteten Füßen da und
tippte zwischen den Knien. Manuskriptblätter voller Fliegendreck waren rings um
ihn ausgebreitet, mit Steinen beschwert wegen der glühenden Winde, die den
ausgebrannten Hügel heimsuchten, und neben seinem Ellbogen stand eine
Korbflasche mit dem roten Landwein, gewiß für die selbst dem größten Meister
bekannten Augenblicke, in denen die Inspiration ihn im Stich ließe. Er tippte
nach Adlerart, berichtete sie später den bewundernden Lachern: kreiste immer
lang herum, ehe er zustieß. Und er trug, was er immer trug, ob er sich nun
sinnlos auf seinem Stück Land zu schaffen machte und das Dutzend unnützer
Olivenbäume bestellte, die dieser Spitzbube Franco ihm angedreht hatte, oder
mit der Waise ins Dorf hinunter zum Einkaufen zockelte oder in der Taverne bei
einem Schnaps saß, ehe er sich wieder an den langen Aufstieg machte:
Wildlederstiefel, denen die Waise noch nie einen Bürstenstrich hatte zukommen
lassen und die folglich an den Zehen glänzten, Knöchelsocken, die sie niemals wusch,
ein schmuddeliges Hemd, das vor langer Zeit weiß gewesen war, und graue Shorts,
die aussahen wie von feindseligen Hunden zerkrallt und die eine anständige Frau
längst geflickt hätte. Und er begrüßte sie mit dem gewohnten schnarrenden
Wortschwall, der zugleich schüchtern und überschwenglich klang und den sie
nicht im einzelnen verstand, aber doch im allgemeinen, wie eine
Rundfunkmeldung, und den sie durch die schwarzen Lücken ihrer schadhaften Zähne
erstaunlich getreu wiederzugeben vermochte.
»Mamma Stefano,
sowas, super, müssen kochen. Hier, altes Haus, was zum Gurgeln«, rief er,
während er die Ziegelstufen heruntergeschlurft kam und ihr ein Glas Wein
anbot. Dabei grinste er wie ein Schuljunge, wie sein Spitzname im Dorf lautete:
der Schuljunge, ein Telegramm für den Schuljungen, dringend, aus London! In
neun Monaten nichts weiter als ein Packen broschürter Bücher und jede Woche ein
gekritzelter Brief seiner Tochter, und jetzt aus heiterem Himmel dieses Denkmal
von einem Telegramm, kurz wie ein Befehl, aber für die Antwort fünfzig Wörter
im voraus
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