Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eine Art Held (Smiley Bd 6)
Vom Netzwerk:
bezahlt! Man stelle sich vor, fünfzig, was das bloß kostet! Nur
natürlich, daß das halbe Dorf den Versuch gemacht hatte, es zu enträtseln.
    Schon bei
der Adresse waren sie steckengeblieben: »The honourable Gerald Westerby«. Warum? Der Bäcker, der als Kriegsgefangener in
Birmingham gewesen war, förderte ein zerfleddertes Wörterbuch zutage:
Höflichkeitstitel für den Sohn eines Adeligen. Natürlich. Signora Sanders, die
auf der anderen Seite des Tals wohnte, hatte ja gleich gesagt, der Schuljunge
habe blaues Blut. Zweiter Sohn eines Zeitungsbarons, hat sie gesagt, Lord Westerby,
Zeitungsbesitzer, verstorben. Zuerst war die Zeitung gestorben, dann ihr
Besitzer - laut Signora Sanders, ein Witz, er hatte die Runde gemacht. Dann
folgte regret, kein Problem, das hieß Bedauern.
Auch advise war nicht schwierig. Die
Postmeisterin stellte erfreut und wider alles Erwarten fest, wieviel gutes
Latein die Engländer trotz ihrer Dekadenz übernommen hatten. Das Wort guardian war
heikel, denn es führte zu Protektor und von da zu plumpen Männerspäßen, die von
der Postmeisterin erzürnt vom Tisch gefegt wurden. Bis schließlich Schritt für
Schritt der Text entschlüsselt und die Geschichte klar war. Der Schuljunge
hatte einen guardian, also eine Art Vormund. Dieser guardian lag
lebensgefährlich krank im Spital und wollte den Schuljungen vor seinem Tod noch
einmal sehen. Niemanden sonst wollte er sehen: Es mußte der Honourable Westerby
sein. Rasch ergänzten sie das Bild: die schluchzende Familie umstand das Lager,
die Ehefrau dem Sterbenden zunächst und untröstlich, elegante Priester
zelebrierten die Letzte Ölung, Wertsachen wurden weggeschlossen und durch das
ganze Haus, in Korridoren und Küchen, zog ein geflüstertes Wort: Westerby - wo
ist der Honourable Westerby? Zuletzt waren noch die Unterzeichner des
Telegramms zu identifizieren. Es waren drei, und sie bezeichneten sich als solicitors, ein Wort, das eine weitere Flut schmutziger Vermutungen auslöste, bis
sie auf Notar kamen und die Gesichter
schlagartig hart wurden. Heilige Jungfrau Maria. Wenn sie drei Notare
brauchten, dann war eine Menge Geld vorhanden. Und wenn sie alle drei
unterzeichnen wollten und noch dazu diese fünfzig Wörter Rückantwort zahlten,
dann nicht nur eine Menge, sondern eine Unmenge! Haufen! Wagenladungen! Kein
Wunder, daß sich die Waise so an ihn gekrallt hatte, diese Hure! Plötzlich riß
sich jeder darum, zum Hügel hinaufzusteigen. Guido konnte mit seiner Lambretta
bis zum Wassertank fahren, Mario konnte rennen wie ein Fuchs, Manuela, die
Tochter des Krämers, hatte so sanfte Augen, die Trauerbotschaft würde ihr gut
anstehen. Doch die Postmeisterin wies alle Freiwilligen ab - Mario mit einem
tüchtigen Knuff ob seiner Anmaßung -, verschloß die Geldschublade und ließ
ihren schwachsinnigen Sohn als Hüter der Poststelle zurück. Auch wenn es
zwanzig Minuten Wüstenmarsch bedeutete und - falls dort droben dieser Glutwind
blasen sollte - einen Mundvoll roten Staub für ihre Mühe.
    Sie hatte
Jerry anfangs nicht richtig eingeschätzt. Das bedauerte sie jetzt, während sie
sich durch die Olivenhaine hügelan mühte, aber der Irrtum hatte seine Gründe.
Erstens war er im Winter angekommen, wenn die billigen Kunden eintreffen. Er
kam allein, aber er hatte den gejagten Blick eines Mannes, der vor kurzem eine
Menge menschlichen Ballast abgeworfen hat, Kinder, Ehefrauen, Mütter: die
Postmeisterin hatte zu ihrer Zeit manchen Mann gekannt und dieses weidwunde
Lächeln allzuoft gesehen, um es bei Jerry zu mißdeuten: »Ich bin verheiratet, aber
zu haben«, besagte es, und keine von beiden Behauptungen war wahr. Zweitens
hatte ihn der parfümierte englische Major angeschleppt, ein allbekanntes
Schwein, das ein Immobilienbüro betrieb und die Bauern übers Ohr haute: ein
weiterer Grund, den Schuljungen links liegen zu lassen. Der parfümierte Major
zeigte ihm mehrere schmucke Anwesen, darunter eines, an dem die Postmeisterin
finanziell beteiligt war - übrigens zufällig das schönste von allen -, doch der
Schuljunge entschied sich statt dessen für die Bruchbude dieser Tunte Franco
droben auf dem gottverlassenen Hügel, den sie nunmehr erklomm: den Teufelshügel
nannten sie ihn; der Teufel kam dorthin, wenn es ihm in der Hölle zu kalt
wurde. Ausgerechnet Franco, der seine Milch und seinen Wein panschte und sonntags
mit einer Bande von Zierbengeln auf der Piazza in der Stadt herumstolzierte.
Der Wucherpreis betrug eine halbe Million

Weitere Kostenlose Bücher