Carre, John le
eine Wildkatze, und in ihren Augen brannte ein höllisches
Feuer.
»Und jetzt
wissen wir, warum!« rief die Postmeisterin laut, als sie bei ihrem Aufstieg
einen Kamm erklettert hatte. »Die Waise ist hinter seiner Erbschaft her. Warum
sollte eine Hure sonst treu sein?«
Der Besuch
Signora Sanders' veranlaßte Mamma Stefano zu einer dramatischen Kehrtwendung in
der Einschätzung des Schuljungen und zur Aufdeckung der Motive der Waise. Die
Sanders war reich und züchtete Pferde weiter draußen im Tal, wo sie mit einer
Freundin hauste, genannt die Knäbin, weil sie kurzgeschorenes Haar und
Kettengürtel trug. Ihre Pferde gewannen überall Preise. Die Sanders war
gerieben und gescheit und genügsam auf eine Art, die den Italienern zusagte,
und sie kannte jeden der wenigen über die Hügel verstreuten bemoosten
Engländer, die des Kennens wert waren. Sie war vor etwa einem Monat in den
Laden gekommen, vorgeblich um Schinken zu kaufen, aber ihr wirkliches Anliegen
war der Schuljunge. Stimme es, fragte sie, »Signor Gerald Westerby,
und er wohnt im Dorf? Ein großer, sportlich gebauter Mann, graumeliert, voll
Energie, Aristokrat, schüchtern?« Ihr Vater, der General, habe die Familie in
England gekannt, sagte sie; eine Zeitlang waren sie auf dem Land Nachbarn
gewesen, der Vater des Schuljungen und der ihre. Die Sanders überlegte, ob sie
ihm einen Besuch machen solle: sie erkundigte sich nach den genaueren
Umständen. Die Postmeisterin murmelte etwas über die Waise, aber die Sanders
war nicht zu erschüttern: »Ach, die Westerbys haben schon immer ihre Frauen
gewechselt«, sagte sie lachend und wandte sich zur Tür. Verblüfft hielt die
Postmeisterin sie zurück und überschüttete sie mit Fragen.
Wer er
denn sei? Was er in seiner Jugend gemacht habe? Er sei Journalist, sagte die
Sanders, und berichtete, was sie über die Familie wußte; der Vater, ein
Prachtmensch, hellhaarig wie der Sohn, hielt Rennpferde, sie hatte ihn noch
kurz vor seinem Tod gesehen, und er war noch immer ein Mann. Wie der Sohn
kannte er keine Ruhe: Frauen und Häuser, und beide wechselte er ständig;
brüllte immerzu jemanden an, wenn nicht seinen Sohn, dann irgendwen auf der
anderen Straßenseite. Die Postmeisterin bohrte weiter. Aber, was ihn selbst
betraf: hatte der Schuljunge sich auch schon ausgezeichnet? Nun, er hatte für
ein paar ausgezeichnete Zeitungen gearbeitet, sagen wir mal so, sagte die
Sanders, und ihr Lächeln strahlte geheimnisvoll auf: »In England ist es im
allgemeinen nicht üblich, Journalisten besonders auszuzeichnen«, erklärte sie
in ihrer klassischen römischen Sprechweise.
Aber die
Postmeisterin wollte mehr, viel mehr. Sein Schreiben, sein Buch, was hatte es damit auf sich?
So lange Zeit! So vieles weggeworfen! Körbevoll, hatte der Müllmann ihr
berichtet - denn kein vernünftiger Mensch würde dort droben im Sommer ein Feuer
anzünden. Beth Sanders verstand die Hartnäckigkeit isoliert lebender Menschen
und wußte, daß ihre Intelligenz sich an uninteressanten Orten auf Kleinigkeiten
konzentrieren mußte. Also versuchte sie, versuchte sie wirklich, gefällig zu
sein. Nun, er sei die ganze Zeit gereist, sagte sie,
kam an die Theke zurück und legte ihr Paket wieder ab. Heutzutage seien
natürlich alle Journalisten viel auf Reisen, Frühstück in London, Mittagessen
in Rom, Abendbrot in Delhi, aber Signor Westerby sei selbst nach diesen
Maßstäben eine Ausnahme gewesen. Also schrieb er vielleicht ein Reisebuch.
Aber warum war er
gereist? bohrte die Postmeisterin weiter, denn für sie gab es keine Reise ohne
Ziel: warum? Wegen der Kriege, erwiderte die
Sanders geduldig: der Kriege, der Seuchen und Hungersnöte: »Was hat ein
Journalist heutzutage schließlich anderes zu tun als über die Drangsale des
Lebens zu berichten?« fragte sie.
Die
Postmeisterin schüttelte weise den Kopf, alle ihre Sinne waren auf die
Enthüllung gerichtet: Der Sohn eines blonden Pferdelords, der herumbellte;
reist wie ein Irrer, schreibt für ausgezeichnete Zeitungen! Und gab es einen
besonderen Schauplatz-, irgendeinen Winkel der Erde -,
auf den er sich spezialisiert hatte? Er sei die meiste Zeit im Fernen Osten,
meinte die Sanders nach kurzem Nachdenken. Er sei schon überall gewesen, aber
es gebe eine Sorte von Engländern, die sich nur im Fernen Osten wirklich zu
Hause fühlten. Bestimmt war das auch der Grund, warum er nach Italien kam:
Manche Männer werden trübsinnig ohne Sonne. Und manche Frauen auch, kreischte
die Postmeisterin,
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