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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eine Art Held (Smiley Bd 6)
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lang auf Keller gewartet hatte, eine
hochgewachsene Kalifornierin mit zuviel Fotoausrüstung und langen unruhigen
Beinen. Da die Telefone nicht funktionierten, wollte Jerry unbedingt an der
britischen Botschaft aussteigen und die Einladung beantworten. Keller war nicht
sehr höflich.
    »Sind Sie eine Art Spion oder so geworden, Westerby, daß Sie Ihre
Storys abstimmen und den Bonzen in den Hintern kriechen, damit Sie den rechten
Background kriegen und eine Pension nebenbei oder was?« Es gab Leute, die
sagten, genau dies sei Kellers Fall, aber es gibt immer Leute.
     »Klar«, sagte Jerry. »Schon seit Jahren.« Die Sandsäcke am Eingang
waren neu, und neue Granatabfanggitter glitzerten in der prallen Sonne. In der
Halle empfahl ein großes mehrteiliges Plakat mit jener grenzenlosen
Sachfremdheit, wie sie ausschließlich Diplomaten zustande bringen, »Britische
Hochleistungswagen«, in einer Stadt ohne einen Tropfen Treibstoff, und zeigte
fröhliche Fotos verschiedener unerreichbarer Modelle. »Ich will dem Herrn
Botschaftsrat bestellen, daß Sie die Einladung angenommen haben«, sagte der
Herr am Empfang feierlich. Der Mercedes roch noch immer ein bißchen warm vom
Blut, aber der Chauffeur hatte die Klimaanlage eingeschaltet. »Was tun die denn
da drinnen, Westerby?« fragte Keller. »Stricken oder was?«
    »Oder was«, sagte Jerry, und sein Lächeln galt der Kalifornierin. Jerry
saß vorn, Keller und das Mädchen hinten. »Okay. Also hören Sie zu«, sagte
Keller. »Klar«, sagte Jerry.
    Jerry hatte sein Notizbuch aufgeschlagen und kritzelte, während Keller
sprach. Das Mädchen trug einen kurzen Rock, und Jerry und der Fahrer konnten
ihre Schenkel im Spiegel sehen. Keller hatte die gute Hand auf ihrem Knie. Sie
hieß ausgerechnet Lorraine und unternahm, genau wie Jerry, angeblich eine Tour
durch die Kriegsgebiete im Auftrag ihres Mittelwest-Zeitungskartells. Bald
waren sie das einzige Auto. Dann hörten auch die Rikschas auf, und sie sahen
nur noch Bauern und Fahrräder und Büffel und die blühenden Büsche des nahenden
Landes: »Schwere Kämpfe auf allen Hauptverbindungsstraßen«, leierte Keller etwa
in Diktiertempo. »Raketenangriffe bei Nacht, Plastikbomben tagsüber, Lon Nol
hält sich noch immer für einen Gott, und die US-Botschaft unterstützt ihn
anfallsweise und versucht dann, ihn rauszuwerfen.« Er gab statistische Zahlen
über Rüstungsstärke, Verluste, Höhe der US-Hilfe. Er nannte Generale, von
denen man wußte, daß sie amerikanische Waffen an die Roten Khmer verkauften,
und Generale, die Gespensterarmeen befehligten, um den Sold der Truppen
einzusacken, und Generale, die beides taten. »Alles in bester Unordnung. Böse
Buben sind zu schwach, um die Städte einzunehmen, brave Buben sind schon zu
sehr auf dem Hund, um das flache Land einzunehmen, und niemand hat Lust zum
Kämpfen außer den Korns. Die Studenten wollen die ganze Stadt anzünden, wenn
sie nicht mehr vom Kriegsdienst befreit werden, Hungeraufstände gibt's jetzt
täglich, Korruption, als gäbe es kein Morgen, niemand kann von seinem Gehalt
leben, Vermögen werden gemacht, und das Land verblutet. Der Palast lebt nicht
in der Wirklichkeit, und die Botschaft ist ein Irrenhaus, mehr Spione als
anständige Kerle, und jeder behauptet, ein Geheimnis zu hüten. Möchten Sie noch
mehr?«
    »Wie lange geben Sie dem Krieg noch?«
    »Eine Woche. Zehn Jahre.«
    »Wie steht's mit den Fluglinien?«
    »Die Fluglinien sind alles, was wir noch haben. Der Mekong ist
praktisch tot, die Straßen dito. Die Fluglinien haben das ganze Feld für sich.
Wir haben eine Story darüber gemacht. Haben Sie sie gesehen? Wurde total
verrissen. Herrje«, sagte er zu dem Mädchen. »Warum muß ich das Ganze für die
Insulaner nochmals durchpauken?«
    »Weiter«, sagte Jerry und schrieb.
    »Vor sechs Monaten hatte diese Stadt fünf eingetragene Luftfahrtgesellschaften.
In den letzten drei Monaten wurden vierunddreißig neue Lizenzen ausgestellt,
und noch ein weiteres Dutzend steckt in der Röhre. Übliche Taxe drei Millionen
Riels an den Minister persönlich und zwei Millionen an seine Umgebung verteilt.
Weniger, wenn man in Gold bezahlt, noch weniger in fremder Währung. Wir machen
jetzt Route Nummer dreizehn«, sagte er zu dem Mädchen. »Vielleicht wollen Sie
sich mal umsehen.«
    »Großartig«, sagte das Mädchen und preßte die Knie zusammen, so daß
Kellers gute Hand eingezwickt war.
    Sie fuhren an einer Statue mit abgeschossenen Armen vorbei, und danach
folgte die

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