Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eine Art Held (Smiley Bd 6)
Vom Netzwerk:
Schießen
wurde nicht lauter.
    »Hatten Sie nicht eine Tochter oder so? Was ist damit los?« sagte
Keller.
    »Ist in Ordnung. Großartig«, sagte Jerry.
    »Hieß wie?«
    »Catherine.«
    »Klingt, als würden wir uns davon entfernen«, sagte Lorraine
enttäuscht. Sie kamen an einer alten Leiche ohne Arme vorbei. In den
Gesichtswunden hatten sich die Fliegen wie schwarze Lava eingenistet.
    »Tun sie das immer?« fragte das Mädchen neugierig. »Was tun sie, hon?«
    »Die Stiefel ausziehen.«
    »Manchmal ziehen sie ihnen die Stiefel aus, manchmal paßt die Größe
nicht«, sagte Keller wiederum seltsam zornig. »Manche Kühe haben Hörner, manche
Kühe haben keine, und manche Kühe sind Pferde. Jetzt reicht's, ja? Woher sind
Sie?«
    »Santa Barbara«, sagte das Mädchen. Plötzlich endeten die Bäume. Sie
fuhren um eine Kurve und waren wieder auf dem flachen Land, der braune Fluß war
direkt neben ihnen. Der Fahrer hielt ohne Aufforderung an und fuhr dann
behutsam rückwärts unter die Bäume.
    »Wo will er hin?« fragte das Mädchen. »Wer hat ihm das befohlen?«
    »Ich glaube, er hat Angst um seine Reifen, altes Haus«, scherzte Jerry.
    »Bei dreißig Dollar pro Tag?« sagte Keller, ebenfalls scherzend. Sie
hatten endlich eine kleine Kampfhandlung gefunden. Vor ihnen, über der
Flußbiegung, ruhte ein zerstörtes Dorf auf einer öden Anhöhe, ohne einen
lebenden Baum im Umkreis. Die Ruinen waren weiß, die Bruchkanten der Mauern
gelb. Durch das fast völlige Fehlen jeder Vegetation wirkte das Dorf wie ein
verfallenes Fort der Fremdenlegion, und vielleicht war es das sogar. Innerhalb
der Mauern drängten sich braune Lastwagen wie auf einem Bauplatz. Sie hörten
ein paar Schüsse, ein leichtes Rattern. Es hätten Jäger sein können, die auf
den Abendflug schießen. Leuchtspuren flammten auf, ein Trio von Mörsergeschossen
schlug ein, der Boden bebte, der Wagen vibrierte, und der Fahrer kurbelte
gelassen sein Fenster herunter, während Jerry es ihm nachtat. Aber das Mädchen
hatte die Tür geöffnet und stieg aus, ein Klasse-Bein nach dem anderen. Sie
wühlte eine Weile in einer schwarzen Flugtasche, brachte eine Telefoto-Linse
zum Vorschein, schraubte sie an ihre Kamera und studierte das vergrößerte Bild.
    »Ist das alles, was es zu sehen gibt?« fragte sie zweifelnd. »Sollten
wir nicht auch den Feind sehen? Ich sehe nichts als unsere Jungens und eine
Menge schmutzigen Rauch.«
    »Ach, sie sind drüben auf der anderen Seite, hon«, begann Keller. »Können
wir sie nicht sehen?« Kurze Zeit war es still; während die beiden Männer
wortlos berieten.
    »Hören Sie«, sagte Keller. »Das hier war nur eine Rundfahrt, okay, hon?
Die Einzelheiten dieser Sache da können sehr verschieden sein. Okay?«
    »Ich meine nur, es wäre großartig, den Feind zu sehen. Ich suche die
Konfrontation, Max. Wirklich. Ich mag das.«
    Sie machten sich auf den Weg.
    Manchmal tut man es, um das Gesicht zu wahren, dachte Jerry, und
manchmal einfach deshalb, weil man seine Arbeit nicht gemacht hat, wenn man
nicht halbtot war vor Angst. Und gelegentlich geht man auch in, um sich ins
Gedächtnis zu rufen, daß das Überleben reiner Zufall ist. Aber meistens geht
man, weil die arideren gehen: Männlichkeitswahn und weil man mittun muß, wenn
man dazugehören will. In früheren Zeiten war Jerry vielleicht aus erhabeneren
Gründen gegangen. Um sich selber kennenzulernen: die Hemingway-Masche. Um seine
Angstschwelle anzuheben. Denn im Kampf wie in der Liebe eskaliert der
Geschmack. Wer einmal im MG-Feuer stand, dem erscheinen Einzelschüsse trivial.
Wer einmal von Granaten aufs Korn genommen wurde, dem ist MG-Beschuß ein
Kinderspiel, und wäre es nur, weil der Einschlag einer simplen Kugel das Hirn
in seinem Kasten läßt, während die Granate es einem durch die Ohren herausbläst.
Und es gibt auch einen Frieden: auch daran erinnerte er sich. In den schlimmen
Zeiten seines Lebens - Geld, Kinder, Frauen, alles dahin - hatte er eine Art
Frieden gekannt, weil ihm klar wurde, daß er nichts weiter zu tun hatte als am
Leben zu bleiben. Aber diesmal - dachte er -, diesmal ist es der blödsinnigste
Grund von allen, nämlich weil ich einen ausgeflippten Piloten suche, der einen
Mann kennt, der Lizzie Worthington zur Geliebten hatte. Sie gingen langsam,
weil das Mädchen des kurzen Rocks wegen Mühe hatte, über die glitschigen
Radfurchen zu balancieren.
    »Tolle Biene«, murmelte Keller.
    »Dafür geschaffen«, bestätigte Jerry

Weitere Kostenlose Bücher