Carre, John le
auf den Weg zu Max' Büro. Er hatte noch ein paar
Fragen über Charlie Marshall. Außerdem konnte er sich vorstellen, daß Max seine
Gesellschaft recht wäre. Nach getaner Pflicht nahm er eine Rikscha und fuhr
nochmals hinaus zu Charlie Marshalls Haus, aber so viel er auch an die Tür
bullerte und rief, er bekam wiederum nur die gleichen nackten braunen Beine zu
sehen, die regungslos am Fuß der Treppe standen, diesmal bei Kerzenlicht. Aber
die Seite, die er aus seinem Notizbuch gerissen und hinterlegt hatte, war
verschwunden. Er kehrte in die Stadt zurück und ließ sich, da er noch immer
eine Stunde totzuschlagen hatte, auf einem von etwa hundert leeren Stühlen
eines Straßencafes nieder, trank einen langen Pernod und dachte daran, wie
einst die Mädchen der Stadt auf ihren kleinen geflochtenen Wägelchen an ihm
vorbeidefiliert waren und in französischem Singsang Klischees von Liebe
geflüstert hatten. Heute Nacht erbebte die Luft von nichts Liebevollerem als
dem dumpfen Dröhnen des gelegentlichen Geschützfeuers, während die Stadt sich
duckte und auf den Einschlag wartete.
Und doch ging die größte Furcht nicht von den Schüssen aus, sondern von
der Stille. Denn, wie der Dschungel selber, war diese Stille, nicht der Beschuß
das natürliche Element des herannahenden Feindes.
Wenn ein Diplomat jemanden sprechen will, dann denkt er als erstes an
eine Mahlzeit, und in diplomatischen Kreisen wurde wegen der nächtlichen
Ausgangssperre früh gespeist. Nicht daß Diplomaten solchen Härten unterworfen
gewesen wären, aber es gehört zu der reizenden Arroganz der Diplomaten in der
ganzen Welt, daß sie mit gutem Beispiel voranzugehen glauben - wem oder was,
das weiß der Teufel. Das Haus des Botschaftsrats lag in einer flachen, grünen
Enklave, die an Lon Nols Palast grenzte. Als Jerry ankam entließ gerade eine
offizielle Limousine ihre Insassen in die Auffahrt, bewacht von einem Jeep
voller Milizsoldaten. Entweder gekrönte Häupter oder Kirchenfürsten, dachte Jerry,
als er ausstieg; aber es waren nur ein amerikanischer Diplomat und seine Frau,
die zum Essen kamen.
»Ah, Sie müssen Mr. Westerby sein«, sagte seine Gastgeberin. Sie war
hochgewachsen, elegant und amüsierte sich darüber, daß jemand Journalist sein konnte,
wie sie sich über jeden amüsierte, der nicht Diplomat war, und zwar im Rang
eines Botschaftsrats. »John brennt darauf, Sie kennenzulernen«, erklärte sie strahlend, und Jerry nahm an,
sie wolle ihm die Befangenheit nehmen. Er folgte dem Zug die Treppe hinauf.
Sein Gastgeber stand oben, ein drahtiger gebeugter Mann mit Schnurrbärtchen und
einer Jungenhaftigkeit, die Jerry üblicherweise eher bei der Geistlichkeit
gesucht hätte.
»Ausgezeichnet! Fabelhaft. Sie sind das Krickett-As. Ausgezeichnet.
Gemeinsame Freunde, stimmt's? Ich glaube, wir benutzen heute abend den Balkon
besser nicht«, sagte er mit einem scheelen Blick zur amerikanischen Ecke. »Gute
Männer sind zu rar, wie mir scheint. Sollten in Sicherheit bleiben. Ihren Platz
gefunden?« Er stach mit befehlendem Finger nach einer ledergerahmten Tischordnung,
auf der die Plätze eingetragen waren. »Lassen Sie sich mit ein paar Leuten
bekannt machen. Moment.« Er zog ihn ein wenig abseits, aber nur ein wenig. »Es
geht alles über mich, ja? Ich habe das eindeutig klargemacht. Lassen Sie sich
nicht in eine Ecke drängen, ja? Kleine Balgerei im Gang, wenn Sie mich verstehen. Rein lokal. Nicht Ihr Problem.«
Der amerikanische Diplomat wirkte auf den ersten Blick klein, er war so
dunkel und adrett, aber als er aufstand und Jerry die Hand schüttelte, waren
beide fast gleich groß. Er trug ein kariertes rohseidenes Jackett und in der
anderen Hand ein Walkie-Talkie in einem schwarzen Plastiketui. Die braunen
Augen waren intelligent, aber übertrieben respektvoll, und während sie
einander die Hände schüttelten, sagte eine Stimme in Jerry: »Vetter«. »Freut
mich, Sie kennenzulernen, Mr. Westerby. Habe gehört, Sie kommen aus Hongkong.
Ihr Gouverneur dort ist ein sehr guter Freund von mir. Beckie, das ist Mr.
Westerby, ein Freund des Gouverneurs von Hongkong, und ein guter Bekannter von
John, unserem Gastgeber.«
Dies zu einer fülligen Frau, die mit plumpen handgehämmertem
Silberschmuck vom Markt behängt war. Ihre farbenfroh« Gewänder flossen in
asiatischem Durcheinander an ihr herab. »Oh, Mr. Westerby«, sagte sie. »Aus
Hongkong. Hallo.« Die übrigen Gäste waren eine gemischte Gesellschaft aus Geschäftsleuten
der Stadt.
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