Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eine Art Held (Smiley Bd 6)
Vom Netzwerk:
Wenn man gefangen
wird, so ist die erste Nacht die einzige zum Fliehen, erinnerte er sich: ehe
sie einem die Schuhe weggenommen haben, die Gesundheit und Gott weiß was noch
alles. Die erste Nacht ist die einzige Chance, sagt der Volksmund. Er
überlegte, ob er es dem Mädchen erzählen sollte, aber er wollte Keller nicht zu
nahetreten. Sie pflügten sich im ersten Gang mit wimmerndem Motor voran. Der
Regen flog über den Wagen hin, donnerte aufs Dach, klatschte auf die Kühlerhaube
und peitschte durch die offenen Fenster. Wenn' wir steckenbleiben, sind wir
erledigt, dachte er. Der Lastwagen vor ihnen hatte sich noch immer nicht
bewegt, und er war jetzt nicht mehr als fünfzehn Yards entfernt, ein glänzendes
Ungeheuer in der Sintflut. Im dunklen Führerstand des Lastwagens sahen sie
magere Gesichter ihr Herannahen beobachten. In letzter Sekunde stieß der Laster
ins Gebüsch zurück und machte gerade so viel Platz, daß sie durchkonnten. Der
Mercedes schlingerte. Jerry mußte sich am Türholm festhalten, um nicht auf den
Fahrer zu fallen. Die beiden Außenräder glitschten und winselten, die
Kühlerhaube schaukelte und wäre um ein Haar mit der Stoßstange des Lastwagens
zusammengestoßen. »Keine Nummernschilder«, flüsterte Keller. »Herrje.«
    »Langsam«, warnte Jerry den Fahrer. »Toujours lentement. Keine
Scheinwerfer.« Er ließ die Augen nicht vom Rückspiegel. »Und das waren die
schwarzen Pyjamas?« sagte das Mädchen aufgeregt. »Und Sie haben mich nicht
einmal ein Bild schießen lassen?«
    Niemand sprach.
    »Was wollen sie? Auf wen lauern sie?« wollte das Mädchen wissen.
    »Auf jemand anderen«, sagte Jerry. »Nicht auf uns.«
    »Irgend ein paar Strolche hinter uns«  sagte Keller. »Wen interessiert's?«
    »Sollten wir nicht jemanden warnen?«
    »Haben nicht die Vorrichtung dazu«, sagte Keller.
    Hinter sich hörten sie Schüsse, aber sie fuhren weiter.
    »Scheißregen«, flüsterte Keller, mehr zu sich selber. »Warum zum Teufel
muß es plötzlich regnen?«
    Dabei hatte es fast aufgehört zu regnen.
    »Aber Herrje, Max«, protestierte das Mädchen, »wenn sie uns schon so
schön in der Zange haben, warum erledigen sie uns dann nicht?«
    Ehe Keller antworten konnte, tat es der Fahrer, auf Französisch, sanft
und höflich, - und nur Jerry verstand es. »Wenn sie kommen wollen, dann kommen
sie«, sagte er und lächelte sie im Spiegel an. »Bei schlechtem Wetter. Während
die Amerikaner nochmals fünf Meter Beton aufs Dach ihrer Botschaft pflanzen,
und die Soldaten in Regenumhängen unter ihren Bäumen kauern, und die
Journalisten Whisky trinken, und die Generale in der fumerie sind, werden die Roten Khmer aus
dem Dschungel kommen und uns die Kehlen durchschneiden.«
    »Was hat er gesagt?« fragte Keller. »Übersetzen Sie das, Westerby.«
    »ja, was war das alles?« sagte das Mädchen. »Es hat sich ganz großartig angehört.
Wie eine ganz tolle Idee oder sowas.«
    »Hab's ehrlich gesagt nicht recht mitgekriegt, altes Haus. War ein
bißchen zu schnell für mich.«
    Alle brachen in Lachen aus, in viel zu lautes Lachen, auch der Fahrer.
    Und während der ganzen Zeit, stellte Jerry fest, hatte er an nichts und
an niemanden gedacht, außer an Lizzie. Nicht unter Ausschluß der Gefahr - ganz
im Gegenteil. Wie der strahlende Sonnenschein, der jetzt alles überflutete, war
sie sein Siegespreis.
    Im Phnom verglommen auf der Pool-Seite die letzten Strahlen der Sonne.
In der Stadt hatte es nicht geregnet. Eine feindliche Rakete, die nahe der
Mädchenschule einschlug, hatte acht oder neun Kinder getötet. Der Gehilfe aus
den Südstaaten war gerade zurückgekommen und hatte die Opfer gezählt.
    »Wie hat sich Maxie beim päng-päng gehalten?« fragte er Jerry, als sie
sich in der Halle begegneten. »Scheint mir, daß seine Nerven in letzter Zeit
ein bißchen ausfransen.«
    »Geh mir mit deiner feixenden Visage aus den Augen«, riet Jerry ihm,
»sonst schlag ich sie dir ein.« Immer noch feixend entfernte sich der
Südstaatler.
    »Wir können uns morgen treffen«, sagte das Mädchen ZU Jerry.
    »Morgen ist mein ganzer Tag frei. Vielleicht können wir uns ein paar
Opiumhöhlen ansehen oder dergleichen?«
    Hinter ihr stapfte Keller langsam die Treppen hoch, eine gebeugte Gestalt
in einärmeligem Hemd, die sich am Geländer in die Höhe zog.
    »Wir können uns sogar heute Abend treffen, wenn Sie mögen«, sagte
Lorraine.
    Eine Weile saß Jerry allein in seinem Zimmer und schrieb Postkarten an
Cat. Dann machte er sich

Weitere Kostenlose Bücher