Carre, John le
Amerikaner?«
»Engländer.«
»Das kommt aufs gleiche hinaus. Sagen Sie Ihrer Regierung, Sir:
wenn Sie uns nicht helfen, den Kampf gegen die Kommunisten fortzuführen,
dann gehen wir zu den Russen und bitten sie, Ihre Stelle in unserem Ringen
einzunehmen.«
O Mutter, dachte Jerry. O Junge. O Gott.
»Ich werde Ihre Botschaft weitergeben«, versprach er und schickte sich
an, zu gehen.
»Un instant, Monsieur«, sagte der
höhere Beamte scharf, und seine dösenden Hofschranzen regten sich. Er zog eine
Schublade auf und brachte einen imposanten Hefter zum Vorschein. Frosts
Testament, dachte Jerry. Mein Todesurteil. Briefmarken für Cat. »Sie sind
Schriftsteller?«
»Ja.«
Ko greift nach mir. Heute nacht Knast, und morgen wache ich mit
durchgeschnittener Kehle auf.
»Waren Sie an der Sorbonne, Monsieur?« erkundigte sich der Beamte.
»Oxford.«
»Oxford in London?«
»Ja.«
»Dann haben Sie die großen französischen Dichter gelesen, Monsieur?«
»Mit allergrößtem Genuß«, erwiderte Jerry begeistert. Die Schranzen
blickten strenger denn je.
»Dann werden Monsieur mich vielleicht mit seiner Meinung über die
folgenden Verse beehren.« Mit seinem langsamen würdevollen Französisch begann
der kleine Beamte laut zu lesen und skandierte die Verse mit der Hand. »Deux amants assis sur la terre Regardaient la mer«, begann er, und fuhr ungefähr zwanzig schweißtreibende Zeilen lang fort,
während Jerry ratlos lauschte.
»Voilá«, sagte der Beamte schließlich und legte den Hefter beiseite. » Vous l'aimez?« wollte er wissen und richtete
dabei den Blick auf eine neutrale Stelle im Raum.
»Superbe«, sagte Jerry
enthusiastisch. »Merveilleux. Welche Sensibilität.«
»Von wem sind sie, Ihrer Meinung nach?«
Jerry nannte den nächstbesten Namen, der ihm einfiel: »Von Lamartine?«
Der höhere Beamte schüttelte den Kopf. Die Schranzen belauerten Jerry
womöglich noch aufmerksamer. »Victor Hugo?« riet Jerry.
»Sie sind von mir«, sagte der Beamte und legte mit einem Seufzer sein
Werk wieder in die Schublade. Die Schranzen entspannten sich. »Sorgen Sie
dafür, daß dieser literarische Herr jede Hilfe erhält«, befahl er.
Jerry kehrte zum Flugplatz zurück und fand ein wirbelndes gefährliches
Chaos. Mercedes schwirrten die Zufahrt auf und ab, als hätte jemand ihr Nest
überfallen, der Vorplatz war ein Hexenkessel aus Warnlichtern, Motorrädern und
Sirenen, und die Halle, wo er sich durch die Absperrung palaverte, war
vollgestopft mit verängstigten Menschen, die sich drängten, um die Anschläge
lesen, einander zubrüllen und die plärrenden Lautsprecher hören zu können, und
das alles zur gleichen Zeit. Als Jerry sich gewaltsam einen Weg zum
Informationsschalter gebahnt hatte, fand er ihn geschlossen. Er sprang auf den
Tresen und konnte durch ein Loch in der Splitterschutzwand auf das Flugfeld
sehen. Ein Zug bewaffneter Soldaten lief im Trab über die leere Rollbahn auf
eine Gruppe weißer Masten zu, an denen schlaff die Nationalflaggen in der
windstillen Luft hingen. Sie holten zwei der Flaggen auf halbmast nieder, und
in der Halle unterbrachen die Lautsprecher ihre Durchsagen und plärrten ein
paar Takte der Nationalhymne. Jerry suchte über die brodelnden Köpfe hinweg
nach jemandem, mit dem er sprechen könnte. Er wählte einen schlanken Missionar
mit kurzgeschorenem gelbem Haar, Brille und einem sechs Zoll großen silbernen
Kreuz, das an die Tasche seines braunen Hemds geheftet war. Neben ihm standen
kläglich zwei Kambodschaner mit gestärkten Priesterkragen. » Vous parlez francais?«
» Ja, aber ich spreche auch englisch!«
Ein singender weicher Tonfall. Jerry tippte auf einen Dänen. »Presse. Was ist
denn hier los?« Er brüllte, so laut er konnte. »Phnom Penh ist geschlossen«,
schrie der Missionar zurück. »Keine Maschine darf starten oder landen.«
»Warum?«
»Die Roten Khmer haben das Munitionsdepot auf dem Flugplatz getroffen.
Die Stadt ist mindestens bis morgen geschlossen.« Wieder begann der
Lautsprecher zu schnattern. Die beiden Priester lauschten. Der Missionar beugte
sich fast bis zum Boden, um die undeutliche Übersetzung zu verstehen. »Kann
sein, daß sie großen Schaden angerichtet und bereits ein halbes Dutzend
Flugzeuge zerstört haben. O ja! Der ganze Betrieb stockt. Die Behörden vermuten
auch Sabotage. Vielleicht nehmen sie auch einige Gefangene. Hören Sie, warum
wird überhaupt in einem Flughafen Munition gelagert? Das war höchst gefährlich.
Was ist hierfür
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