Carre, John le
gehörte ihnen der Fluß und der Dschungel
dazu. Und morgen oder übermorgen würde ihnen auch die Stadt gehören. Auf dem
Flugplatz versenkte er die Walther in einem Abfallkorb und erschmierte sich in
letzter Minute den Zugang zu einem Flugzeug nach Saigon, wohin er wirklich
wollte. Beim Start fragte er sich, wer wohl die längere Lebenserwartung habe:
er oder die Stadt.
Luke hingegen, in dessen Tasche vermutlich noch der Schlüssel zu Jerrys
Wohnung in Hongkong nistete - oder genauer zur Wohnung Deathwishs des Hunnen -,
flog nach Bangkok, und wie das Leben so spielt, flog er, ohne es zu wissen,
unter Jerrys Namen, denn Jerry stand auf der Passagierliste und Luke nicht, und
es war sonst kein Platz mehr frei. In Bangkok wohnte er einer hastigen
Redaktionskonferenz bei, die den Zweck hatte, die Mitarbeiter der Zeitschrift
zwischen den verschiedenen Abschnitten der zusammenbrechenden vietnamesischen
Front aufzuteilen. Luke kriegte Hue und DaNang und flog daher anderntags nach
Saigon und von dort mit der Anschlußmaschine am Mittag weiter nach Norden.
Entgegen späteren Gerüchten begegneten die beiden Männer einander in
Saigon nicht.
Sie begegneten einander auch nicht im Verlauf des Rückzugs der
Nordfront.
Sie hatten einander - im strengen Sinn des Wortes - zum letztenmal an ihrem letzten Abend in Phnom Penh gesehen,
als Jerry mit Luke Krach gemacht und Luke geschmollt hatte, und das ist eine
feststehende Tatsache - ein Artikel, der später erwiesenermaßen nur schwer
erhältlich war.
Ricardo
Zu keinem anderen Zeitpunkt während dieses ganzen Falls hatte George
Smiley sich so systematisch aus dem Spiel gehalten. Die Nerven der Circusleute
waren bis zum Zerreißen gespannt. Die verdammte Warterei und der irre Rummel,
vor denen Sarratt seit eh und je warnte, waren nicht mehr voneinander zu
unterscheiden. Jeder Tag, der keine entscheidende Nachricht aus Hongkong
brachte, war ein weiterer Unglückstag. Jerrys langes Telegramm wurde sorgfältig
analysiert und zuerst als konfus, dann als neurotisch beurteilt. Warum hatte er
Marshall nicht energischer in die Zange genommen? Warum hatte er das russische
Phantom nicht wieder beschworen? Er hätte Charlie über die Goldader
ausquetschen sollen, er hätte bei Tiu weitermachen müssen, wo er aufhörte.
Hatte er vergessen, daß seine Aufgabe in erster Linie darin bestand, den Gegner
in Unruhe zu versetzen, und erst in zweiter Linie im Sammeln von Informationen?
Und was seine fixe Idee mit dieser unseligen Tochter betraf - Allmächtiger!,
wußte der Mann nicht, was Telegramme kosten? (Der Circus schien vergessen zu
haben, daß die Vettern für die Kosten aufkamen.) Und was sollte das heißen: er
habe keinen Kontakt mehr zu den britischen Botschaftsangehörigen, die anstelle
des abwesenden Circus-Residenten agierten? Sicher, es hatte einige Zeit
gedauert, bis das Telegramm den Weg vom Vetternflügel bis hierher geschafft
hatte. Und Jerry hatte Charlie Marshall doch wirklich aufgestöbert, wie? Es war
schließlich nicht Sache eines Außenagenten, London zu sagen, was es zu tun und
zu lassen habe. Nach Ansicht der Housekeepers, die den Kontakt arrangiert
hatten, sollte ihm postwendend eine Zigarre verpaßt werden. Der Druck, der von
außen her auf den Circus ausgeübt wurde, war sogar noch stärker. Wilbrahams Mannen
aus dem Kolonialamt waren nicht müßig geblieben, und der Lenkungsausschuß beschloß
in einer bestürzenden Hundertachtzig-Grad-Wendung, daß der Gouverneur nun doch
eingeweiht werden solle, und zwar bald. Es wurde davon gesprochen, ihn unter
einem Vorwand nach London zurückzubeordern. Die Panik war ausgebrochen, weil Ko
erneut im Gouverneurspalast empfangen worden war, diesmal bei einem der
Talk-in-Soupers, zu denen einflußreiche Chinesen geladen wurden, damit sie
zwanglos ihre Meinung äußern könnten.
Saul Enderby und sein harter Kern hingegen zogen in die
entgegengesetzte Richtung: »Zum Teufel mit dem Gouverneur. Was wir fordern, ist
unverzügliche und volle Partnerschaft mit den Vettern!« George solle noch heute zu Martello gehen, sagte
Enderby, alle seine Karten offen auf den Tisch legen und die Vettern
auffordern, das letzte Entwicklungsstadium dieses Falles selbst zu übernehmen.
Er solle seine aussichtslose Jagd nach Nelson aufstecken, er solle zugeben, daß
er nichts Konkretes in Händen habe, er solle es ihnen überlassen, sich den
nachrichtendienstlichen Erkenntnisgewinn selber auszurechnen, und wenn sie
Glück haben würden, um so
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