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Carre, John le

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Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eine Art Held (Smiley Bd 6)
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verbringen dürfen. Als die Verzögerungen sich häuften, sprach man im
Circus wiederholt davon, ihn in eine bekömmlichere Stadt zu schicken, zum
Beispiel nach Singapur oder Kuala Lumpur, aber Gründe der Zweckdienlichkeit und
der Tarnung gaben stets den Ausschlag dafür, daß er bleiben mußte, wo er war:
und außerdem, schon morgen konnte sich alles ändern. Hinzu kam das Problem
seiner persönlichen Sicherheit. Hongkong kam nicht in Betracht, und sowohl in
Singapur wie in Bangkok hatte Ko sicherlich beträchtlichen Einfluß. Und nochmals
die Tarnung: was war natürlicher, als daß ein Journalist sich in Saigon
aufhielt, nun, da der Zusammenbruch unmittelbar bevorstand? Trotz allem lebte
Jerry nur ein halbes Leben, und er lebte in einer halben Stadt. Rund vierzig
Jahre lang war der Krieg Saigons Schlüsselindustrie gewesen, doch der
amerikanische Rückzug von dreiundsiebzig hatte einen Konjunktureinbruch
ausgelöst, von dem die Stadt sich bis zuletzt nie richtig erholte, so, daß
sogar dieser lang erwartete Schlußakt mit seinem Millionenaufgebot von
Darstellern vor fast leerem Haus spielte. Sogar wenn Jerry seine
obligatorischen Fahrten in die unmittelbare Kampfzone unternahm, hatte er das
Gefühl, einem verregneten Kricketmatch beizuwohnen, bei dem beide Parteien nur
den Wunsch hatten, möglichst bald in die Umkleidekabinen zurückzukehren. Der
Circus verbot ihm, Saigon zu verlassen, mit der Begründung, er könne jeden
Augenblick irgendwo anders benötigt werden, aber die wörtliche Durchführung
dieses Befehls hätte ihn lächerlich gemacht, also ignorierte er ihn. Xuan Loc
war eine langweilige französische Kautschukstadt, fünfzig Meilen entfernt, an
der derzeitigen Verteidigungslinie der Stadt. Denn dieser Krieg unterschied
sich dramatisch vom Krieg in Phnom Penh, er war technischer und trug ein
europäisches Gepräge. Während die Roten Khmer keine Panzerwaffe besaßen, hatten
die Nordvietnamesen russische Tanks und 130er Artilleriegeschütze, die sie nach klassischem russischem Muster dicht
an dicht auffahren ließen, als setzten sie unter Marschall Schukow zum Sturm
auf Berlin an, und nichts rührte sich, ehe nicht die letzte Kanone geladen und
aufs Ziel gerichtet war. Er fand die Stadt halb verlassen vor, die katholische
Kirche war leer bis auf einen französischen Geistlichen.
    »C'est termine«, erklärte der Priester ihm schlicht. Die Südvietnamesen würden tun, was
sie immer taten, sagte er. Sie würden den Vormarsch stoppen, dann kehrt machen
und davonlaufen. Sie tranken zusammen Wein und starrten auf den leeren Platz
hinaus.
    Jerry reichte seine Reportage ein, die besagte, daß dieses Fiasko das
letzte sei, und Stubbsi lehnte sie prompt ab mit dem lakonischen Kommentar:
»Porträts, nicht Prophezeiungen. Stubbs.«
    Auf den Stufen des Hotels Caravelle in Saigon boten ihm bettelnde
Kinder unnütze Blumengebinde zum Kauf an. Jerry gab ihnen Geld und nahm die
Blumen, um ihr Gesicht zu wahren, dann warf er sie in seinem Zimmer in den
Papierkorb. Als er unten in der Halle saß, klopften sie ans Fenster, an dem der
Regen herabströmte, und verkauften ihm Stars and
Stripes. In den leeren Lokalen, in denen er
trank, scharten sich die Mädchen verzweifelt um ihn, als wäre er ihre letzte
Chance vor dem Ende. Nur die Polizisten waren in ihrem Element. Sie standen mit
weißen Helmen und frischgewaschenen weißen Handschuhen an jeder Ecke, als
warteten sie bereits darauf, den anrollenden Fahrzeugstrom der Sieger zu
dirigieren. In weißen Jeeps fuhren sie wie regierende Fürsten an den Flüchtlingen
vorbei, die in ihren Vogelbauern auf dem Gehsteig hockten. Er kehrte in sein
Hotelzimmer zurück, und bald darauf rief Hercule an, Jerrys
Lieblings-Vietnamese, dem er aus Leibeskräften aus dem Weg gegangen war.
Hercule, wie er selber sich nannte, war gegen das Establishment und gegen Thieu
und verdiente nicht schlecht damit, daß er britische Journalisten mit
Informationen über den Vietkong versorgte, mit der fragwürdigen Begründung, daß
die Briten nicht in den Krieg verwickelt seien. »Die Briten sind meine
Freunde!« flehte er ins Telefon. »Bringen Sie mich raus! Ich brauche Papiere,
ich brauche Geld!« Jerry sagte: »Probieren Sie's bei den Amis«, und legte auf.
    Das Büro der Agentur Reuter, wo Jerry seine totgeborene Reportage
ablieferte, war ein Monument für vergessene Helden und die Romantik des
Scheiterns. Unter den Glasplatten der Schreibtische lagen die fotografierten
Köpfe zerzauster junger

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