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Carre, John le

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Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eine Art Held (Smiley Bd 6)
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ich das solang hierlassen?«fragte er und wies auf
seine schäbige Schreibmaschine neben Masters' IBM-Kugelkopfmodell.
    »Sir, wir werden sie hüten wie unseren Augapfel.« Hätte Masters sich
die Mühe gemacht, in diesem Augenblick zu ihm hinzusehen, so wäre er vielleicht
angesichts von Jerrys ungewöhnlich leuchtendem Blick stutzig geworden.
Vielleicht wäre er, wenn er Jerrys Stimme besser gekannt oder auf ihre so
besonders liebenswürdige Rauheit geachtet hätte, gleichfalls stutzig geworden.
Hätte er gesehen, wie Jerry sich in seine Haartolle einkrallte, den Unterarm
vor die Brust hielt in dem instinktiven Wunsch, sich zu verstecken, oder hätte
er auf Jerrys albernes Dankesgrinsen geachtet, als der Junge wiederkam, um ihn
in dem blauen Jeep zum Tor zu fahren: dann wären ihm vielleicht Zweifel
gekommen. Aber Major Masters war nicht nur ein verbitterter Fachmann, der eine
Menge Enttäuschungen erlebt hatte. Er war ein Gentleman aus dem Süden, der den
Dolchstoß der Niederlage von den Händen unergründlicher Wilder empfing; und er
hatte gerade damals nicht viel Zeit übrig für die Verdrehtheiten eines
ausgedienten, überfälligen Briten, der sein in den letzten Zügen liegendes
Spukhaus als Postamt benutzte.
    Vor dem Aufbruch der Hongkong-Reisenden aus dem Circus herrschte
festliche Stimmung, die durch die geheimnisvollen Vorbereitungen noch
gesteigert wurde. Die Nachricht von Jerrys Wiederauftauchen hatte sie
ausgelöst. Der Inhalt seines Fernschreibens intensivierte sie noch und fiel
mit einer Meldung der Vettern zusammen, wonach Drake Ko seine sämtlichen gesellschaftlichen
und geschäftlichen Verabredungen abgesagt und sich in die Abgeschiedenheit
seines Hauses Seven Gates an der Headland Road zurückgezogen habe. Ein Foto von
Ko, per Teleobjektiv aus dem Observierungswagen der Vettern aufgenommen,
zeigte ihn im Viertelprofil, wie er in seinem großen Garten am Ende einer
Rosenpflanzung stand und aufs Meer hinausblickte. Die Betondschunke sah man
nicht, aber Ko trug seine viel zu große Baskenmütze.
    »Wie ein moderner Gatsby, mein Lieber!« rief Connie Sachs entzückt, als
sie sich alle über das Foto beugten. »Schmachtet hinüber zu dem blöden Licht an
der Pier, oder was der arme Tropf sonst getan hat!«
    Als der Observierungswagen zwei Stunden später wieder des Wegs kam,
stand Ko noch immer in der gleichen Haltung da, also machten sie kein zweites
Foto mehr. Viel bedeutsamer war die Tatsache, daß Ko das Telefon überhaupt
nicht mehr benutzte - jedenfalls nicht die Apparate, die die Vettern angezapft
hatten. Auch Sam Collins schickte einen Bericht, den dritten kurz nacheinander,
aber den bisher bei weitem längsten. Wie üblich kam er in einem
Spezialumschlag, der an Smiley persönlich adressiert war, und wie üblich
besprach Smiley den Inhalt nur mit Connie Sachs. Und genau in dem Augenblick,
als die Reisenden zum Flugplatz von London aufbrechen wollten, traf noch eine
Botschaft von Martello ein, des Inhalts, daß Tiu aus China zurückgekehrt und
zur Zeit mit Ko in der Headland Road in Klausur sei.
    Aber die wichtigste Zeremonie, soweit  Guillam sich damals und später
erinnern konnte, und die verwirrendste, war ein kleiner Kriegsrat in Martellos
Räumen im Annex, zu dem sich ausnahmsweise nicht nur das gewohnte Quintett
Martello, seine beiden schweigsamen Männer sowie Smiley und Guillam einfanden,
sondern auch Lacon und Enderby, die bezeichnenderweise mit dem gleichen
Dienstwagen ankamen. Zweck dieser - von Smiley berufenen - Versammlung war die
formelle Schlüsselübergabe. Martello sollte jetzt ein vollständiges Bild vom
»Unternehmen Delphin« bekommen, einschließlich der hochwichtigen Verbindungen
zu Nelson. Er sollte als vollgültiger Partner eingewiesen werden - abgesehen
von einigen kleineren Auslassungen, die erst später bekannt wurden. Wie Lacon
und Enderby sich hatten eindrängen können, erfuhr Guillam nie genau, und Smiley
war später in diesem Punkt verständlicherweise zurückhaltend. Enderby erklärte
rundweg, er sei »im Interesse der Ordnung und der militärischen Disziplin«
mitgekommen. Lacon wirkte farbloser und herablassender denn je. Guillam hatte
den deutlichen Eindruck, daß sie etwas im Schilde führten, und dieser Eindruck
wurde noch verstärkt durch die Vorstellung, die Enderby und Martello gaben: die
frischgebackenen Busenfreunde ignorierten einander so völlig, daß sie Guillam
an ein heimliches Liebespaar erinnerten, das am gemeinsamen Frühstück in

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