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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eine Art Held (Smiley Bd 6)
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Gesetzesbücher, genau die gleichen, die
auch Old Sambo überall mitgeschleift hatte: Simon über Steuerrecht,
Charlesworthy über Gesellschaftsrecht. Die gerahmten Zertifikate an der Wand.
Die Verleihungsurkunde zu seinem O. B. E., die mit den Worten begann:
»Elizabeth die Zweite von Gottes Gnaden . . . « Der Orden selbst, auf Seide
gebettet wie die Waffen eines toten Ritters. Gruppenfotos chinesischer Angehöriger
auf den Stufen eines Tempels. Siegreiche Rennpferde. Lizzie, wie sie ihn
anlachte. Lizzie im Badeanzug, ein atemraubender Anblick. Lizzie in Paris.
Behutsam zog er die Schreibtischläden auf und entdeckte geprägte Geschäftsbogen
von einem Dutzend verschiedener Firmen. In den Schränken leere Aktenordner,
eine elektrische IBM-Schreibmaschine ohne Kabel, ein Adressenbuch ohne Adressen
darin. Lizzie mit nacktem Oberkörper, wie sie über den langen Rücken hinweg zu
ihm hinsah. Lizzie, Gott sei ihr gnädig, im Hochzeitskleid, einen
Gardenienstrauß in der Hand. Ko mußte sie zum Fotografieren zu einem
Brautausstatter geschickt haben.
    Nirgends
ein Foto von Rupfensäcken voller Opium. Die Freistatt des Chefs, dachte Jerry.
Old Sambo hatte deren mehrere gehabt: Mädchen, denen er Wohnungen hielt, einer
sogar ein Haus, und die ihn doch nur ein paarmal im Jahr zu sehen kriegten.
Aber immer dieser ganz besondere Raum mit dem Schreibtisch und den unbenutzten
Telefonen und den Erinnerungsfotos, eine Ecke, die er buchstäblich aus dem
Leben eines anderen Menschen herausgeschnitten hatte, ein Versteck vor seinen
anderen Verstecken.
    »Wo ist
er?« fragte Jerry und mußte wieder an Luke denken.
    »Drake?«
    »Nein, der
Weihnachtsmann.«
    »Das
möchte ich von Ihnen wissen.«
    Er folgte
ihr ins Schlafzimmer.
    »Wissen
Sie oft nicht, wo er ist?« fragte er.
    Sie zog
die Ohrringe ab und warf sie in eine Schmuckschatulle.
    Dann die
Brosche, die Halskette und die Armbänder.
    »Er ruft
mich von überall her an, bei Tag oder Nacht, ganz egal.
    Dies ist
das erste Mal, daß er nichts von sich hören läßt.«
    »Können
Sie ihn zu Hause anrufen?« fragte Jerry.
    »Aber jederzeit«, erwiderte sie mit wildem Hohn.
»Klar kann ich das. Erste Gattin und ich kommen blendend miteinander aus.
    Wußten Sie
das nicht?«
    »Und im
Büro?«
    »Er geht
nicht ins Büro.«
    »Wie
steht's mit Tiu?«
    »Dieser
Schuft von Tiu!«
    »Warum?«
    »Weil er
ein Schwein ist«, fauchte sie und riß eine Schranktür auf. »Er könnte eine
Botschaft von Ihnen übermitteln.«
    »Wenn er
Lust dazu hätte, was er nicht hat.«
    »Warum
nicht?«
    »Woher zum
Teufel soll ich das wissen?« Sie zerrte einen Pullover und Jeans heraus und
schleuderte sie aufs Bett. »Weil er mich nicht mag. Weil er mir nicht traut.
Weil er nicht zuläßt, daß ein Rundauge seinen Hohen Herrn belästigt. Gehen Sie
jetzt raus, solange ich mich umziehe.«
    Er
schlenderte also wieder in den Wohnraum, wo er mit dem Rücken zur Tür
stehenblieb und das Rascheln von Seide auf Haut hörte.
    »Ich war
bei Ricardo«, sagte er. »Wir hatten einen umfassenden und sehr offenen
Meinungsaustausch.«
    Er mußte
unbedingt wissen, ob sie davon erfahren hatte. Er mußte sie von Lukes Tod
freisprechen können. Er wartete eine Weile, dann fuhr er fort:
    »Charlie
Marshall gab mir die Adresse, also bin ich bei ihm aufgetaucht, und wir haben
ein bißchen geplaudert.«
    »Großartig«,
sagte sie. »Demnach gehören Sie jetzt zur Familie.«
    »Von
Mellon war auch die Rede. Angeblich haben Sie für ihn Rauschgift geschmuggelt.«
    Sie
schwieg. Als er sich zu ihr umdrehte, saß sie auf dem Bett und hielt den Kopf
in den Händen. In Jeans und Pullover sah sie aus wie fünfzehn und wirkte um
eine Handbreit kleiner als sonst. »Was wollen Sie denn eigentlich?« flüsterte
sie endlich, so leise, als hätte sie sich selber die Frage gestellt. »Sie«,
sagte er. »Für immer.«
    Er wußte
nicht, ob sie es gehört hatte, denn ihre Antwort bestand nur in einem langen
Ausatmen und einem geflüsterten »Mein Gott«.
    »Sind Sie
mit Mellon befreundet?« fragte sie schließlich. »Nein.«
    »Schade.
Er braucht einen Freund wie Sie.«
    »Weiß
Arpego, wo Ko ist?«
    Sie zuckte
die Achseln.
    »Wann
haben Sie zuletzt von ihm gehört?«
    »Vor einer
Woche.«
    »Was hat
er gesagt?«
    »Er hat
verschiedene Erledigungen.«
    »Welche
Erledigungen?«
    »Hören Sie
um Himmels willen mit der Fragerei auf! Die ganze verdammte Welt stellt Fragen,
also müssen Sie sich unbedingt anschließen, wie?«
    Er starrte
sie an, und ihre

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