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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eine Art Held (Smiley Bd 6)
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Gelegenheit fand, ihn zurückzupfeifen und wegen
angeblich schuldhaften Fehlverhaltens an die Luft setzen zu lassen. »Sam! Wie
nett von Ihnen! Bitte Platz zu nehmen!« sagte Smiley in ausnahmsweise
überströmender Gastlichkeit. »Etwas zu trinken? Wie spät ist es nach Ihrer
Zeitrechnung? Vielleicht sollten wir Ihnen ein Frühstück anbieten?«
    In
Cambridge hatte Sam mit Auszeichnung abgeschlossen, zum ratlosen Erstaunen
seiner Lehrer, die ihn bis dato als Halbidioten eingestuft hatten. Er hatte es,
wie die Herren Professoren einander tröstend versicherten, ausschließlich dank
seinem phänomenalen Gedächtnis geschafft. Weniger weltfremde Zungen erzählten
allerdings eine andere Geschichte. Nach ihrer Version habe Sam eine Liebschaft
mit einem häßlichen Mädchen aus dem Büro der Prüfungskommission auf sich
genommen und von seiner Herzdame, neben anderen Gunstbeweisen, ein
Vorausexemplar der Examensthemen erhalten.
     
    Das Schloß erwacht
     
    Smiley
tastete zunächst einmal bei Sam das Gelände ab und Sam, selbst ein alter
Pokerspieler, tastete das Gelände bei Smiley ab. Manche Außenagenten, und
besonders die klügsten, setzen einen perversen Ehrgeiz darein, nicht das ganze
Bild zu kennen. Ihre Kunst besteht in der geschickten Handhabung der Details.
Sie weigern sich hartnäckig, weiterzugehen. Sam war so veranlagt. Nachdem
Smiley ein bißchen in Sams Dossier gestöbert hatte, testete er ihn anhand
verschiedener alter Vorfälle, die nichts Bedrohliches an sich hatten, aber auf
Sams gegenwärtige Disposition schließen ließen und sein präzises
Erinnerungsvermögen bestätigten. Er empfing Sam allein, denn in Anwesenheit
weiterer Personen wäre es ein anderes Spiel gewesen: intensiver oder weniger
intensiv, auf jeden Fall anders. Später, als die Geschichte klar ans Licht
gekommen war und nur noch Nachstoßfragen zu stellen waren, ließ er allerdings
Connie und Doc di Salis aus den Niederungen heraufholen und auch Guillam
dabeisitzen. Aber das war später, und fürs erste testete Smiley Sams Gedächtnis
allein, wobei er ihm verschwieg, daß alle einschlägigen Unterlagen vernichtet
waren und daß Sam nun, nach Mackelvores Tod, der einzige Zeuge gewisser
entscheidender Vorkommnisse war. »Also, Sam, erinnern Sie sich noch«, fragte
Smiley, als ihm endlich der rechte Augenblick gekommen schien, »an eine Anfrage
aus London, die Sie einmal in Vientiane erreichte betreffs gewisser
Geldüberweisungen aus Paris? Es müßte ein ganz normales Ansuchen um >anonyme
Nachforschungen gewesen sein, >bitten um Bestätigung oder Fehlanzeige< -
so in dieser Art? Fällt Ihnen da zufällig etwas ein?«
    Er hatte
ein ganzes Blatt voll Notizen vor sich liegen, so daß diese Frage nur eine von
vielen in einer langsamen Abfolge war. Er schrieb sich sogar während des
Sprechens etwas mit Bleistift auf und sah Sam überhaupt nicht an. Aber so, wie
man mit geschlossenen Augen besser hört, fühlte er, daß Sams Aufmerksamkeit
sich steigerte: was heißen will, daß Sam die Beine ein wenig streckte und
kreuzte und seine Bewegungen fast bis zum Stillstand verlangsamte.
    »Monatliche
Überweisungen an die Banque del Indochine«, sagte Sam nach angemessener Pause.
»Saftige. Stammten aus einem kanadischen Überseekonto bei der Pariser Filiale.«
Er nannte die Kontonummer. »Zahlungen am letzten Freitag eines jeden Monats.
Fing an im Januar dreiundsiebzig oder so. Klar fällt mir da etwas ein.«
    Smiley
entdeckte sofort, daß Sam sich auf ein langes Spiel einrichtete. Sein
Gedächtnis war klar, aber seine Information mager: mehr ein Erstangebot als
eine unumwundene Antwort. Smiley, noch immer über seine Papiere gebeugt, sagte:
»Wir sollten das vielleicht ein bißchen genauer durchgehen, Sam. Einiges in den
Akten ist hier widersprüchlich, und ich möchte gern Ihre Version klarstellen.«
    »Klar«,
sagte Sam wiederum und zog gelassen an seiner braunen Zigarette. Er beobachtete
Smileys Hände und gelegentlich mit forcierter Unabsichtlichkeit auch seine
Augen - aber nie zu lange. Während Smiley seinerseits sich ausschließlich
bemühte, Ohr und Geist für die verschlungenen Lebenspfade eines Außenagenten
offenzuhalten. Es war leicht möglich, daß Sam irgend etwas ganz Unwichtiges
verbergen wollte. Er hatte zum Beispiel ein bißchen an seinen Ausgaben gedreht
und fürchtete, aufgekommen zu sein. Er hatte seinen Bericht erfunden, anstatt
hinauszugehen und Hals und Kragen zu riskieren: Sam war schließlich in einem
Alter, in dem ein

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