Carre, John le
Welt in tiefem
Schlaf.
»Genau, mein
Lieber«, sagte Connie sehr leise, als fürchtete sie, ihn zu wecken.
Jetzt
waren Akten und Hefter über den ganzen Thronsaal verstreut. Die Szenerie glich
weit eher einer Katastrophe als einem Triumph. Eine weitere Stunde hindurch
blickten Guillam und Connie schweigend ins Leere oder auf Karlas Fotografie,
während Smiley gewissenhaft Connies Schritte zurückverfolgte. Sein aufmerksames
Gesicht war dicht über die Leselampe gebeugt, die schwammigen Züge wurden vom
Lichtstrahl schärfer hervorgehoben, die Hände fuhren übers Papier und hoben
sich dann und wann zum Mund, damit er den Daumen ablecken konnte. Ein paarmal
machte er Miene, sie anzublicken oder den Mund zum Sprechen zu öffnen, aber
Connie hatte die Antwort schon bereit, ehe er die Frage stellen konnte. Sie
ging im Geist ständig neben ihm her. Als er fertig war, lehnte er sich zurück,
nahm die Brille ab und putzte sie, ausnahmsweise nicht mit dem breiten Ende
seiner Krawatte, sondern mit einem neuen Seidentuch aus der Brusttasche seines
schwarzen Rocks, denn er hatte den Tag größtenteils in Klausur mit den Vettern
behufs Durchsetzung seiner Interessen verbracht. Während er dies tat, strahlte
Connie Guillam an und knautschte affektiert: »Ist er nicht geliebt?« - ein
geflügeltes Wort, wenn sie von ihrem obersten Chef sprach, das Guillam fast zur
Raserei trieb.
Smileys
nächste Verlautbarung kam im Ton eines milden Einwands.
»Trotzdem,
Con, London hat wirklich ein formelles Ansuchen um
Aufklärung an unseren Residenten in Vientiane geschickt.«
»War, ehe
Bill Zeit gehabt hat, seinen Huf draufzusetzen«, erwiderte sie.
Smiley
schien sie nicht gehört zu haben, er nahm eine aufgeschlagene Akte und hielt
sie ihr über den Schreibtisch weg vor die Nase: »Und Vientiane hat wirklich ausführlich
geantwortet. Alles im Index vermerkt. Das Schreiben scheint aber nicht dabei zu
sein. Wo ist es?«
Connie
hatte sich nicht die Mühe gemacht, die dargebotene Akte entgegenzunehmen.
»In der
Häckselmaschine, darling«, sagte sie und strahlte Guillam triumphierend
an.
Der Tag
war angebrochen. Guillam ging überall herum und knipste die Lampen aus.
Am
gleichen Nachmittag suchte Guillam den ruhigen Spielclub im West End auf, wo
Sam Collins in der ewigen Nacht seines freiwilligen Exils die Leiden des
Ruhestands genoß. Zu seiner Überraschung wurde Guillam, der ihn bei der
Beaufsichtigung des üblichen nachmittäglichen chemm-de-fer-Spielchens
vermutete, in ein prächtiges Gemach mit der Aufschrift »Geschäftsleitung«
geführt. Sam ruhte hinter einem imposanten Schreibtisch und grinste wohlig
durch den Rauch seiner üblichen braunen Zigarette.
»Was zum
Teufel haben Sie angestellt, Sam?« flüsterte Guillam wie ein Bühnenschurke und
tat, als blickte er sich nervös um. »Die Mafia übernommen? Herrjeh!«
»Ach, das
war nicht nötig«, sagte Sam mit dem gleichen Schmierengrinsen. Er warf einen
Regenmantel über den Smoking, führte Guillam durch einen Korridor und den
Notausgang auf die Straße, und sie sprangen in Guillams wartendes Taxi, während
Guillam sich insgeheim noch immer über Sams nagelneue Vornehmheit wunderte.
Außenleute
haben verschiedene Arten, ihre Gefühle nicht zu zeigen. Sam zum Beispiel tat es,
indem er grinste, langsamer rauchte und einen dunklen Glanz besonderer
Nachsicht in die Augen bekam, die er fest auf seinen Gesprächspartner richtete.
Sam war Asienmann gewesen, ein alter Circus-Hase mit einer Menge Erfahrung im
Außendienst: fünf Jahre in Borneo, sechs in Birma, weitere fünf im nördlichen
Thailand und zuletzt drei in der laotischen Hauptstadt Vientiane, alles unter
der naheliegenden Legende als Export-Import-Kaufmann. Die Thais hatten ihn
zweimal im Schwitzkasten gehabt, aber wieder laufen lassen. Er hatte Hals über
Kopf aus Sarawak abzischen müssen. Wenn er in Stimmung war, konnte er allerhand
über seine Abenteuer bei den Bergstämmen Nordbirmas und in den Shan-Staaten
erzählen, aber er war nur selten in Stimmung. Sam war auch eines der Haydon-Opfer.
Vor nunmehr fünf Jahren hatte Sams mühelose Meisterschaft ihn einen Augenblick
lang zum ernsthaften Kandidaten für eine Beförderung in die fünfte Etage
gemacht - ja, so hieß es, sogar für den Chefposten selbst, wenn Haydon sich
nicht mit seinem ganzen Gewicht hinter den lächerlichen Percy Alleline gestellt
hätte. Anstatt in Amt und Würden grau zu werden, konnte Sam nun im Außendienst
verschimmeln, bis Haydon eine
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