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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eine Art Held (Smiley Bd 6)
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umrissen hatte: daß die Schlinge, in der Haydon sich gefangen hatte,
nicht die einzige gewesen war. Daß es letzten Endes nicht Haydons schriftliches
Material war, das ihn zu Fall gebracht hatte, auch nicht seine Manipulation von
Berichten oder das »Verlieren« unliebsamer Aufzeichnungen. Es war Haydons Panik
gewesen. Haydons spontanes Eingreifen bei einem Auslandseinsatz, als die Gefahr
für ihn selber oder für einen anderen Agenten Karlas plötzlich so drohend
wurde, daß ihm nichts anderes übrigblieb als ihn, trotz des Risikos, mit allen
Mitteln abzuwürgen. Smiley hoffte inständig, daß diese Masche sich wieder
finden würde. Und so stellten Smiley und seine Helfer in der Meldestelle in
Bloomsbury nie direkt, immer auf Umwegen, die gleiche Frage: »Können Sie sich
an irgendeine Gelegenheit während Ihres Außendienstes erinnern, bei der Sie
ohne ersichtlichen Grund von der weiteren Verfolgung eines Operationsziels
abgehalten wurden?«

Ausgerechnet
der adrette Sam Collins im Smoking mit seiner braunen Zigarette und dem
gepflegten Schnurrbart und dem Lächeln eines Mississippi-Dandy, der eines
Abends zu einem gemütlichen kleinen Schwatz geladen war, segelte herein und
sagte: »Wenn ich mir's recht überlege, ja, alter Junge, das kann ich.«
    Aber
hinter Smileys neuerlicher Frage und Sams entscheidender Antwort lauerte die
furchteinflößende Gestalt von Miss Connie Sachs auf der Pirsch nach russischem
Gold. Und hinter Connie wiederum, wie eh und je, die unscharfe Fotografie
Karlas.
    »Connie hat einen
erwischt, Peter«, flüsterte sie eines Nachts Guillam über das
Haustelefon zu. »Sie hat einen erwischt, klar wie Kloßbrühe.«
    Es war
keineswegs ihr erster Fund, auch nicht ihr zehnter, aber ihr untrüglicher
Instinkt sagte ihr sofort, dies sei »der wahre Jakob, darling, glaub's
der alten Connie«. Also sagte Guillam es Smiley, und Smiley schloß seine Akten
weg, räumte den Schreibtisch ab und sagte: »All
right, rein mit ihr.«
    Connie war
eine gewaltige, verkrüppelte, gerissene Frau, Tochter eines
Universitätsprofessors, Schwester eines Universitätsprofessors, selber
Akademikerin und bei den älteren Mitarbeitern bekannt als Mütterchen Rußland.
Es ging die Sage, Control habe sie, als sie noch eine junge Dame war, beim
Bridgespiel angeworben, in der Nacht, in der Neville Chamberlain »Frieden,
solange wir leben« versprach. Als Haydon auf den Gleitspuren seines Protektors
Alleline zur Macht schlitterte, war einer seiner ersten und umsichtigsten
Schachzüge, daß er Connie abhalfterte. Denn Connie wußte mehr über die Wege und
Stege der Moskauer Zentrale als die meisten der, wie sie sie nannte,
erbärmlichen Kerle, die sich dort abrackerten, und Karlas Privatarmee von
Maulwürfen und Anwerbern war schon immer ihre ganz besondere Wonne gewesen. Es
gab in jenen alten Tagen keinen einzigen sowjetischen Überläufer, dessen
Vernehmungsprotokoll nicht durch Mütterchen Rußlands gichtige Finger gegangen
wäre; keinen einzigen Provokateur, der sich an einen identifizierten
Talentsucher Karlas herangemacht hatte, den Connie nicht gierig bis in die
kleinste Kleinigkeit in seinem Tanz um das Opfer nachgespielt hätte; kein
Quentchen Hörensagen in den nahezu vierzig Jahren beim Bau, das nicht ihrem
schmerzgequälten Körper einverleibt wurde und dort unter dem Trödel ihres
umfassenden Gedächtnisses lagerte, um sofort wieder aufzutauchen, wenn sie
danach kramte. Connies Hirn, hatte Control einmal in einer Art Verzweiflung
gesagt, sei ein einziger riesiger Aktendeckel. Nach ihrer Entlassung ging sie
zurück nach Oxford und vor die Hunde. Bis Smiley sie wieder anforderte, bestand
ihr einziger Zeitvertreib darin, das Kreuzworträtsel der Times zu lösen, und
sie brachte es gut und gerne auf ihre zwei Flaschen pro Tag. Aber in jener
Nacht, in jener fast könnte man sagen historischen Nacht, als sie ihre Massen
durch den Korridor des fünften Stockwerks und in Smileys Allerheiligstes schob,
hatte sie sich in einen sauberen grauen Kaftan geworfen, ein Paar rosige
Lippen, nicht unfern ihren eigenen, aufgemalt, sich den ganzen Tag nichts
Stärkeres genehmigt als einen gräßlichen Pfefferminzlikör, dessen Fahne sie
hinter sich herzog, und ihre Züge, darin waren sich später alle einig, trugen
den Stempel des großen Ereignisses. Sie schleppte eine voluminöse
Einkaufstasche aus Plastik, denn sie mochte kein Leder. In ihrer Höhle auf
einem unteren Stockwerk wimmerte der Bastardhund Trot, den sie in einer

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