Carte Blanche - Ein Bond-Roman
Gewissensbisse, als hätte er sie betrogen, obwohl der intimste Kontakt zwischen ihm und ihr eine Berührung Wange an Wange gewesen war, die höchstens eine halbe Sekunde gedauert hatte.
Er drehte den Kopf. Die andere Seite des Betts war leer. Er sah auf die Uhr. Es war halb acht. Er konnte Felicitys Parfum an Laken und Kissen riechen.
Der gestrige Abend hatte als Erkundungsmission begonnen, bei der Bond etwas über seinen Gegner und dessen Absichten herausfinden wollte. Dann war mehr daraus geworden. Er hatte mit Felicity Willing eine Seelenverwandte kennengelernt, eine resolute Frau, die einst die Londoner Bankenwelt erobert und sich dann einer edleren Aufgabe zugewandt hatte. In gewisser Weise waren er und sie beide fahrende Ritter.
Und er wollte sie wiedersehen.
Doch das Wichtigste zuerst. Er stieg aus dem Bett und zog einen Frotteemantel an. Dann zögerte er kurz. Aber es musste sein.
Er ging zu seinem Laptop im Wohnbereich der Suite. Das Gerät war von der Abteilung Q mit einer restlichtverstärkten Kamera ausgestattet worden, die sich per Bewegungsmelder aktivieren ließ. Bond fuhr den Computer hoch und überprüfte die Aufzeichnung. Die Kamera war auf die Eingangstür und den Sessel gerichtet gewesen, auf den Bond Sakko und Hose geworfen hatte, darin seine Brieftasche, sein Pass und sein Mobiltelefon. Laut Zeitangabe war Felicity gegen fünf Uhr dreißig angezogen an seiner Kleidung vorbeigegangen, ohne sich für seine Sachen oder den Laptop zu interessieren. Sie blieb stehen und schaute zurück zum Bett. Mit einem Lächeln? Ihm kam es so vor, aber er war sich nicht sicher. Sie legte etwas auf den kleinen Tisch bei der Tür und verließ das Zimmer.
Er stand auf und ging hin. Neben der Lampe lag ihre Visitenkarte. Unterhalb der Telefonnummer ihrer Organisation hatte sie per Hand die Nummer eines Mobiltelefons hinzugefügt. Bond schob die Karte in seine Brieftasche.
Er putzte sich die Zähne, duschte und rasierte sich. Dann zog er eine blaue Jeans und ein weites schwarzes Lacoste-Hemd an, unter dem er seine Walther verstecken konnte. Lächelnd legte er das protzige Armband und die Uhr an und schob sich den Siegelring auf den Finger.
Als er seine SMS und E-Mails durchsah, fand er eine Nachricht von Percy Osborne-Smith vor. Der Mann blieb seiner neuen Einstellung treu und teilte ihm den aktuellen Stand der Nachforschungen in Großbritannien mit, wenngleich es kaum Fortschritte zu vermelden gab. Er endete mit den Zeilen:
Unsere Freunde in Whitehall sind völlig besessen von Afghanistan. Ich würde sagen, umso besser für uns, James. Ich freue mich darauf, gemeinsam mit Ihnen das Georgskreuz verliehen zu bekommen, sobald Hydt hinter Gittern sitzt.
Während er in seinem Zimmer frühstückte, dachte er über den bevorstehenden Ausflug zu Hydts Green-Way-Gelände nach. Er wog ab, was er am Vorabend erfahren hatte, vor allem hinsichtlich der strengen Sicherheitsvorkehrungen. Dann rief er die Abteilung Q an und ließ sich mit Sanu Hirani verbinden. Im Hintergrund hörte er Kinderstimmen. Vermutlich hatte man ihn an das Mobiltelefon des Abteilungsleiters durchgestellt. Hirani hatte sechs Kinder. Sie alle spielten Cricket, und seine älteste Tochter war eine herausragende Schlagfrau.
Bond schilderte ihm, welche Kommunikationsmittel und Waffen er benötigte. Hirani hatte ein paar Ideen, war aber unschlüssig, ob sie sich schnell in die Tat umsetzen lassen würden. »Wie viel Zeit haben Sie, James?«
»Zwei Stunden.«
Am anderen Ende der Leitung in mehr als elftausend Kilometern Entfernung ertönte ein nachdenkliches Einatmen. Dann: »Ich werde einen Verbindungsmann in Kapstadt benötigen. Jemanden mit Ortskenntnissen und Sicherheitsfreigabe. Ach, und mit solider Tarnidentität. Fällt Ihnen da jemand ein?«
»Ich fürchte, ja.«
Um zehn Uhr dreißig betrat Bond in grauer Windjacke die Polizeizentrale und wurde zu den Räumen der Crime Combating and Investigation Division geleitet.
»Guten Morgen, Commander«, begrüßte Kwalene Nkosi ihn lächelnd.
»Warrant Officer.« Bond nickte ihm zu. Sie tauschten einen verschwörerischen Blick aus.
»Haben Sie heute schon die Zeitung gelesen?«, fragte Nkosi und klopfte auf ein Exemplar der Cape Times . »Tragische Geschichte. Gestern Abend wurde bei einem Brandanschlag in Primrose Gardens eine ganze Familie getötet.« Er runzelte ziemlich theatralisch die Stirn.
»Wie furchtbar«, sagte Bond und dachte, dass Nkosi trotz seiner West-End-Ambitionen kein besonders
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