Carte Blanche - Ein Bond-Roman
geduldig sein.
Überwachung oder nicht?
Er überlegte hin und her. Dann griff er zögernd nach dem Telefonhörer.
17
Um achtzehn Uhr dreißig parkte Bond rückwärts neben seinem renngrünen Jaguar ein. Er stieg die Treppe in den ersten Stock hinauf, schloss die Tür auf, entschärfte die Alarmanlage und überprüfte im Schnelldurchlauf die Aufzeichnungen der Überwachungskamera – nur May, seine Haushälterin, war hier gewesen. (Es war ihm peinlich gewesen, und als sie anfing, für ihn zu arbeiten, hatte er ihr erklärt, dass die Kamera auf Anweisung seines Dienstherrn, nämlich der Regierung, hier hing; die Wohnung musste in seiner Abwesenheit überwacht werden, auch während May hier arbeitete. »Wenn man bedenkt, was Sie für unser Land tun, geht das schon in Ordnung. Bin ja schließlich auch Patriotin«, hatte die treue Seele erwidert.)
Er hörte den Anrufbeantworter ab. Es war nur eine Nachricht eingegangen. Sie stammte von einem Freund, der in Mayfair wohnte, Fouad Kharaz, ein gerissener, extravaganter Jordanier, der alle möglichen Geschäfte tätigte, zumeist im Zusammenhang mit Beförderungsmitteln: Autos, Flugzeuge und die erstaunlichsten Jachten, die Bond je gesehen hatte. Kharaz und er waren Mitglieder des Commodore-Spielclubs am Berkeley Square.
Im Gegensatz zu vielen ähnlichen Londoner Clubs, deren Mitgliedschaft binnen vierundzwanzig Stunden und für fünfhundert Pfund erworben werden konnte, war der Commodore ein ehrwürdiges Etablissement, dem man nur mit Geduld und nach gründlicher Überprüfung beitreten durfte. Als Mitglied musste man sich einigen strikten Regeln unterwerfen, zum Beispiel hinsichtlich der Kleidung, sowie an den Spieltischen tadelloses Benehmen vorweisen. Dafür kam man dann auch in den Genuss des erlesenen Restaurants und Weinkellers.
Kharaz hatte angerufen, um Bond für den heutigen Abend dorthin zum Essen einzuladen. »Ich habe ein Problem, James. Mir sind zwei wunderschöne Frauen aus Saint-Tropez anvertraut worden – wie es dazu kam, ist eine zu lange und heikle Geschichte, um sie auf Band zu hinterlassen. Jedenfalls reicht mein Charme nicht für alle beide aus. Werden Sie mir behilflich sein?«
Bond wählte lächelnd seine Nummer und teilte ihm mit, dass er bereits anderweitig verabredet war. Sie einigten sich darauf, den Abend demnächst nachzuholen.
Dann unterzog er sich seinem Duschritual – erst sehr heiß, dann eiskalt – und trocknete sich schnell ab. Er strich sich mit den Fingern über Wangen und Kinn und beschloss, seiner lebenslangen Gewohnheit nicht untreu zu werden und sich kein zweites Mal an einem Tag zu rasieren. Dann tadelte er sich: Wie kommst du überhaupt auf die Idee? Philly Maidenstone ist hübsch und schlau und fährt ein höllisch gutes Motorrad – aber sie ist eine Kollegin. Das ist alles.
In diesem Moment drängte sich jedoch die schwarze Lederkombi unaufgefordert in seine Fantasie.
Bond ging im Bademantel in die Küche, schenkte sich zwei Fingerbreit Basil Hayden’s ein, gab einen Eiswürfel hinzu und trank die Hälfte. Der erste Schluck des weichen, erdigen Bourbons war immer der beste, vor allem an einem Tag wie diesem – nach der gefahrvollen Begegnung mit einem Feind und vor einem Abend in Gesellschaft einer schönen Frau …
Er ertappte sich schon wieder dabei. Stopp.
Bond setzte sich im Wohnzimmer auf einen alten Ledersessel. Der Raum war nur spärlich möbliert. Die meisten der Einrichtungsgegenstände hatte Bond von seinen Eltern geerbt; seine Tante hatte sie in einem Lagerraum für ihn aufbewahrt. Manches hatte er selbst gekauft: ein paar Lampen, einen Tisch und Stühle, ein Bose-Soundsystem, für dessen Genuss ihm meistens die Zeit fehlte.
Auf dem Kaminsims standen silbern gerahmte Fotos seiner Eltern und Großeltern – väterlicherseits in Schottland, mütterlicherseits in der Schweiz. Andere Bilder zeigten seine Tante Charmian mit dem jungen Bond in Kent. An den Wänden hingen weitere Fotografien, aufgenommen von seiner Mutter, einer freiberuflichen Bildreporterin. Die überwiegend in schwarz-weiß abgelichteten Motive waren vielfältig: politische Zusammenkünfte, Gewerkschaftsversammlungen, Sportwettbewerbe, Panoramaszenen an exotischen Orten.
In der Mitte des Kaminsimses lag ein seltsames kleines Ding: eine Patrone. Sie hatte nichts mit Bonds Agententätigkeit in der Sektion 00 der ODG -Abteilung O zu tun, sondern stammte aus einer ganz anderen Zeit und Ecke seines Lebens. Er ging zum Kamin und drehte das
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