Caruso singt nicht mehr
graugetigerte Kater, schlängelte sich um seine Beine und trat erwartungsvoll von einer Pfote auf die andere, während Bremer den Schlüssel ins Schloß steckte und aufschloß. Bitte keine weiteren Katastrophen, dachte er, als er die Tür geöffnet hatte und ihm der Geruch von kaltem Rauch und nassen Wänden entgegenstürzte. Verschimmelte Wände sind Strafe genug!
Wenigstens die Fenster wollte er noch schnell aufmachen. Und den Katzen eine Dose öffnen. Die hatten seine Ankunft längst mitgekriegt: Die beiden schwarzen Kater sprangen vom Schuppendach, auf dem sie stundenlang verschlafen zu liegen pflegten, wahrscheinlich in der vagen Hoffnung, irgendwann mal würde sich eine unvorsichtige Meise in die Reichweite ihrer Pfoten verirren. Und soeben zwängte sich die schwarzweiße Kätzin unter dem Gartentor hindurch.
Paul öffnete eine große Dose und verteilte den Inhalt auf zwei Futternäpfe, die er vor die Tür stellte. Dann schaute er den Tieren zu, wie sie sich gegenseitig den besten Platz streitig machten, mit Pfote und Schnauze nach den Brocken angelten und gierig schmatzten.
Tu doch nicht so zivilisiert, dachte er sich beim Anblick der Katzen. Vielleicht war ja bei Marianne noch intakt, was bei ihm, dem Städter, schon längst tief verschüttet war: die archaische Wut auf jeden, der einem an die Grundlagen der Existenz ging. An Haus, Ernte und Nutztiere. Plötzlich fiel ihm der mörderische Zornesausbruch wieder ein, der ihn überfallen hatte, als er den vermeintlichen Brandsatz in seinem Schuppen gefunden hatte. »Doch nicht ganz verschüttet«, murmelte er und schob mit dem Fuß einen der Freßnäpfe näher zum kleinen Grauen, der von den anderen abgedrängt worden war. Brandstifter und Tiermörder waren seit ewigen Zeiten die Erzfeinde aller Landbewohner. Solcherlei Abschaum erschlug man – ganz gleich, ob es sich um Mensch oder Tier handelte. Die Männer, die den kleinen Peter fast totgeprügelt hatten, glaubten sich wahrscheinlich in einem höheren Recht als dem, das im Bürgerlichen Gesetzbuch stand. Weil es das ältere Recht war. Nur Städter hielten das Land für idyllisch. In Wirklichkeit war hier Wilder Westen.
Bremer schloß sein Haus wieder ab und setzte sich ins Auto. An der Lehne seines Sitzes hingen ein paar silbergraue Haare. Sein Hund, wenn er denn jemals einen hätte, würde »Ami Fritz« heißen. Das war er dem Alten Fritz schuldig.
Anne kam ihm in Gummistiefeln und mit Dagobert an der Seite entgegen, als er vom Feldweg auf den Parkplatz einbog. Ihre Verlegenheit stand zwischen ihnen wie der feine Dunst nach einem Gewitter. »Tut mir leid …«, sagten beide gleichzeitig. Anne lachte nervös und stopfte ihre schönen schlanken Hände in die Jackentaschen. Paul versuchte sein Unbehagen zu überbrücken, indem er dem knurrenden Dagobert die Hand hinhielt. Der Hund schnupperte und beäugte ihn mißtrauisch von unten. »Freund«, sagte Anne mechanisch. Sollte sie Paul erzählen, daß sie mehrmals versucht hatte, ihn anzurufen? »Ich hab versucht, dich anzurufen«, sagte Bremer und sah zu ihr hinüber. Er stand nicht sehr bequem, leicht vorgebeugt, die Hand noch immer dem Hund hinhaltend. »Ich war nicht gerade leicht zu erreichen«, sagte Anne spröde. Vor allem am Donnerstag nicht. Vielleicht sollte sie einen Telefonanschluß in die Kühlkammer legen? Unwillkürlich lachte sie auf. Ein Handy in der Schürzentasche hätte die gleiche Funktion erfüllt. Paul sah sie noch immer fragend an. »Es ist so wahnsinnig viel passiert, Paul«, sagte sie mit plötzlich ganz kleiner Stimme. »Kaum kommt ein Mann und mimt Verständnis, schon wirst du schwach«, wollte ihr Ich widersprechen, das mit dem Rückgrat aus Stahl. Aber es war schon zu spät. Anne wollte Verständnis. Und wahrscheinlich, fürchtete sie, wollte sie auch endlich einmal schwach sein.
»Was war los?« fragte Paul besorgt.
»Och, nichts Besonderes«, sagte Anne betont munter. »Ich wäre fast zu Gefrierfleisch geworden, und Renas Freund ist tot.« Sie spürte den Kloß im Hals, als sie das sagte. Aber sie weinte erst zum Schluß ihrer Kurzversion der Ereignisse der letzten Tage. Als sie Rena vor ihrem inneren Auge sah, mit verlorenem Blick, im Schoß den Kopf des toten Alexander. So sollte keine erste Liebe enden.
»Bucephalus tötet Alexander«, sagte Paul mit Verwunderung in der Stimme. Anne hörte auf zu schluchzen und wischte sich mit dem Ärmel die Tränen von den Augen. »Das hat was Mythisches, nicht?« sagte sie. Sie
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