Caruso singt nicht mehr
Wasser war unter großem Druck ausgetreten, der Wasserdruck war in Klein-Roda enorm. Wahrscheinlich schon mindestens seit gestern. Das meiste war offenbar in Decke und Wände eingesickert, in den Lehmstrich, mit dem die Gefache zwischen den alten Eichenbalken ausgefüllt waren. Das traditionsreiche Baumaterial hatte hervorragende dämmende Eigenschaften – aber auch die Fähigkeit, sich mit Feuchtigkeit vollzusaugen und diese so schnell nicht wieder herzugeben. Ein naßkalter Winter stand Bremer bevor.
Mit Ekel im Gesicht tappte er durch die Lachen auf dem Boden, um seine Gummstiefel aus der Abstellkammer zu holen und den mit einer Gummikante versehenen Abzieher, den er sich für solche, allerdings im Falle eines Hochwassers befürchteten Kalamitäten zugelegt hatte. Im Haus war es kühlfeucht, und die Wände verströmten bereits einen strengen Geruch. Die Wasserrechnung würde gigantisch ausfallen.
In Gummistiefeln und mit dem Werkzeugkasten in der Hand stieg er die Treppe wieder hoch. In zehn Minuten war die Sache erledigt: Rohre aufgeschraubt, Kalk von den Muffen abgekratzt, zu seinem Glück eine passende Dichtung gefunden, eingesetzt, zugeschraubt, fertig. Die Wasserschäden zu beseitigen, würde erheblich länger dauern. »Komplettrenovierung«, knurrte er. »Man kriegt ja langsam Übung.«
Aber wenigstens wußte er sich zu helfen, sagte sich Bremer nicht ohne Genugtuung. Er mußte keine Handwerker anrufen und auch noch teures Geld für deren Hilfe bezahlen. Oder nach den Nachbarn schreien. Das zählte in seinem Dorf. Daß Bremer die Gartenmauern selbst hochzog, die neuen Fenster selbst einsetzte, das Vordach über der Haustür selbst reparierte, galt hier weit mehr als die obskuren Dinge, mit denen er sich sonst noch beschäftigen mochte, wenn er sommers mit seinem Notebook am Gartentisch saß. Wer tätig war, sichtbar und nachvollziehbar, gehörte dazu. Nichts einfacher als das. Allerdings hatte er, wenn er sich recht erinnerte, wohl Monate gebraucht, bis er begriffen hatte, daß der nachbarliche Kommentar »Na, reißt du endlich ab?«, nachdem er im Schweiße seines Angesichts zur Verschönerung des Dorfes beigetragen hatte, ein Kompliment war und höchste Anerkennung bedeutete. Auf die Idee, sagte er sich zu seiner Entschuldigung, wären wohl auch andere nicht gleich gekommen.
Mit Abzieher und Feudel versuchte Paul, Bad und Küche wieder halbwegs trocken zu bekommen. Er fühlte sich kalt und ungeliebt und sehnte sich nach der Stadt. »Mietwohnung!« sagte er vor sich hin. »Zentralheizung!« Und, nach einigem Nachdenken, »Teppichboden!« Noch nicht einmal die Versicherung würde ihm beispringen. Er war zu geizig gewesen und hatte seine Police nicht um den Schutz bei Leitungswasserschäden ergänzen lassen.
In der Küche sah es noch übler aus als im Bad. Eins seiner Lieblingskochbücher, das auf der Arbeitsplatte gelegen hatte, war völlig durchweicht, die Seiten zusammengeklebt. Paul versenkte es unter passenden Flüchen in der Papiertonne. Das Holz der Arbeitsplatte war aufgequollen. Wasser war in die Tischsteckdose geraten und hatte einen Kurzschluß ausgelöst. Und seine kleine japanische Kamera hatte es ebenfalls erwischt. Für Unterwasserfotografie war sie nicht gebaut. Bremer murmelte Verwünschungen und versenkte auch sie.
Nach anderthalb Stunden war er gründlich frustriert und kalt bis auf die Knochen. Er beschloß, sich das Feuer im Wohnzimmer jetzt schon anzuzünden. Auch Holzhacken macht warm.
»Ich dacht schon, ich hätt was Komisches gehört aus deinem Haus«, rief ihm Marianne zu, die sich aus ihrem Küchenfenster beugte, als er aus der Tür kam. »Komisch ist gut gesagt!«, rief er zurück, »das war ein Wasserfall!« Es tat ihm gut, die Mischung aus Entsetzen und Mitleid auf ihrem Gesicht zu sehen, als er ihr die Geschichte erzählte.
Und es tat ihm noch besser, seinen Zorn und seine Frustration am Brennholzstapel hinter dem Haus auszulassen. Nach einer Viertelstunde wischte er sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn und attackierte sogar einen verwachsenen Eichenklotz mit Inbrunst. Erst als Zigarettenrauch zu ihm herüberkräuselte, merkte er, daß er Publikum hatte. Willi, Mariannes Mann, sah ihm zu, die Kippe im Mund, das Anglerhütchen gewagt schräg auf dem Kopf, den er sich mit der rechten Hand kratzte.
»Na, machst du wieder alles kaputt?«
Es war, als ob irgend etwas in ihm auf dieses Stichwort gewartet hätte. Paul ließ die Axt fallen und brach in hemmungsloses
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