Caruso singt nicht mehr
Karen, schmaler geworden.
»Nichts könnte aufregender sein als das Leben auf dem Land«, widersprach Paul, den, wenn er ehrlich war, seine äußere Verfassung im Moment ähnlich brennend interessierte wie sein Berufsleben. »Alles verläuft bei uns beschleunigt. Auch der natürliche Alterungsprozeß.« Er hatte Anne im Kopf. Nichts sonst.
Als er ihr in groben Zügen schilderte, was Klein-Roda und die Nachbargemeinden in Atem hielt, war Karen ganz Konzentration. Den Kopf mit dem leuchtend roten Haar hatte sie leicht auf die Seite gelegt, die sonst so nervösen Hände gefaltet. »Das ist die Andacht der Professionalität«, dachte Paul halb amüsiert, halb bewundernd.
»Aha«, sagte sie kurz, als er geendet hatte, schloß die Augen und legte den Kopf für einige Sekunden in den Nacken.
»Also«, sagte sie dann und öffnete die Augen wieder. »Das eine hat wahrscheinlich mit dem anderen nichts zu tun.«
»So weit war ich auch schon«, stimmte Paul zu.
»Brandstifter betätigen sich selten auch als Pferdemörder. Und noch seltener richtet sich die Pathologie solcher Verrückten direkt gegen Menschen.«
»Die Leute glauben das«, sagte Paul achselzuckend.
»Das sollen sie ja wohl auch.« Karen machte eine Pause. »Es gibt nur eins, was gegen die Täterschaft der Ehefrau spricht. Warum sollte sie die Leiche derart dramatisch zur Schau stellen? Auch noch im eigenen Kühlhaus?«
»Daß die Leiche im Kühlhaus hing, heißt wahrscheinlich nur, daß der Täter der Polizei die Feststellung des Todeszeitpunkts erschweren wollte. Das versuchen sie doch immer«, vermutete Paul.
Karen lachte. »Es dürfte sich herumgesprochen haben, daß das heute nicht mehr viel nützt. Ein Mörder, der soviel Phantasie auf die Inszenierung des Opfers verschwendet, ist klug genug, um seine Gegner nicht zu unterschätzen.« Manuel servierte den zweiten Gang: ein Bœuf en daube, das Karen kritisch musterte, bevor sie Manuel zunickte.
»Du meinst, der Täter kam von außen?« Paul gelang es nicht, die Hoffnung in seiner Stimme zu verbergen.
Karen sah ihn mit leiser Ironie an. Paul grinste verlegen zurück. Sie kannte seine stille Vorliebe für Anne Burau. Es gab wahrscheinlich nichts, was sie nicht über ihn wußte. Karen Stark war seine beste Freundin, seit Jahren schon, seit dem Studium. Seit sie beide im Philosophischen Seminar über Schwerverständlichem von Hegel bis Adorno brüteten und feststellten, daß die eine wie der andere zu dem damals seltenen eigenbrötlerischen Menschenschlag gehörten, der mit dem jeweils gerade angesagten Zeitgeist und mit Massenbewegungen nichts anzufangen wußte.
Einmal waren sie miteinander im Bett gelandet, er und sie – »Du wolltest wissen, wie das geht, wenn sie größer ist als er!« hatte Karen hinterher gespottet, die mit ihrem Maß von Einmetersechsundachtzig tatsächlich, wie er schamvoll zugeben mußte, eine Herausforderung für ihn gewesen war. Beide hatten am nächsten Tag beschlossen, es mit der üblicherweise verläßlicheren Bindung als einer Beziehung zu versuchen: mit Freundschaft. Eifersucht war es also nicht, womit er rechnen mußte, wenn er ihr von Anne erzählte. Höchstens Vorurteile: Karen hatte die Frauen nie gemocht, für die er sich interessierte – und die, die er geheiratet hatte, nicht ausstehen können. Er war noch heute im Zweifel, ob sie auch in diesem Fall recht gehabt hatte.
»Verhaften Sie die Üblichen«, sagte die Staatsanwältin. »Also wir haben offenbar die Wahl zwischen dem pathologischen Täter – zündeln, Pferde schlitzen, Menschen abschlachten, egal was – oder dem Beziehungstäter, der aus der Umgebung des Opfers stammt. Die dritte Möglichkeit, Tat im kriminellen Milieu, fällt wohl flach.«
»Das ist ein voreiliger Schluß. Der Mann hatte Kontakte nach Frankfurt.«
»Die Hochburg des Verbrechens«, sagte Karen und lachte laut. Paul hob die Schultern.
»Wie wäre es dann mit dem ideologischen Milieu? Der Täter hat dem Opfer den Kontrollstempel der Fleischbeschau verpaßt – auf die Arschbacke.«
»Veganer«, schlug Karen vor und schob sich ein weiteres Stück vom Bœuf en daube auf die Gabel. »Die beiden sind zwar Biobauern, aber auf der eindeutig bösen Seite: Sie essen Fleisch, wenn auch von glücklichen Kühen.«
»Erst kürzlich haben radikale Tierschützer bei einem Biometzger in Pfaffenheim aufgeräumt und den ganzen Laden mit Buttersäure verseucht.«
»Ich hasse Ideologen«, stöhnte Karen. Paul sah sie liebevoll an. In Wirklichkeit
Weitere Kostenlose Bücher