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Caruso singt nicht mehr

Titel: Caruso singt nicht mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Holzsplitter vom Hosenboden und beschloß, die Polizei anzurufen. Die sollte sich einen Reim auf die Sache machen.
    »Schwierig, das alles im Moment, nicht?« Ach, Willi.
    Zwei, drei Stunden könne es schon dauern, bis jemand vorbeikäme, sagte man Paul auf der Polizeidienststelle im gut dreißig Kilometer entfernten Bad Moosbach, an die er über die Notrufnummer vermittelt worden war. Es gehe ja nun nicht mehr um Leben oder Tod. In der Tat. Aber was war eigentlich, wenn es darum einmal ging? Warten Sie mit Ihrem Ableben, bis wir den Stau auf der B 27 weiträumig umfahren haben?
    Die Zeit des Dorfsheriffs war eindeutig vorbei. Bremer zog sich um und setzte sich aufs Rennrad. Bloß nicht warten müssen. Lieber die dunklen Schatten gleich bekämpfen, die er vom Boden seiner Seele nach oben flattern fühlte.
    Er ließ mit einem Schnicken des Zeigefingers der linken Hand die Gangschaltung auf den mittleren Zahnkranz einrasten und legte seine ganze Frustration in den Antritt. »Schönes Landleben! Heile Welt!« fluchte er mit zusammengebissenen Zähnen, als er schon am Ortsausgang einen zermatschten Igel auf der Straße liegen sah. Auch der hatte sich sicher geglaubt. Bloß weil er Stacheln hatte.
    Seine Reifen hätte er mal wieder aufpumpen sollen, dachte Paul, als er zum dritten Mal in eines der schlecht wieder zugeklebten Löcher in der Asphaltdecke hineingefahren war und den Stoß schmerzhaft in Handgelenken und Wirbelsäule spürte. Normalerweise, wenn ihn die Wut nicht vernebelte, fuhr er Slalom um die hervorstehenden Kanaldeckel oder die quadratischen Vertiefungen am Straßenrand in den Nachbardörfern. Die meisten Hausbesitzer hatten den Anschluß an den Abwasserkanal in Eigenarbeit vollzogen, die Strecke von der Hausgrube bis zur Straße selbst ausgeschachtet und dann zugeschüttet und die Asphaltdecke nur sehr sparsam wieder ausgebessert. Immerhin verfügten die Nachbargemeinden seit einem Jahr über den Anschluß an die Kläranlage, auf den Klein-Roda noch immer wartete.
    Hinter Heckbach griff er plötzlich in die Bremsen. Eine Blutspur zog sich über die Breite der Straße, und am Wiesenrain lag ein Haufen fliegenumflirrter Eingeweide, der den über der Wiese kreisenden und schrill schreienden Greifvögeln offenbar bislang entgangen war. Schon wieder eine Leiche! zuckte es ihm durchs überreizte Hirn. Er stieg ab und besah sich den Haufen genauer. Das sah eher nach den Überresten irgendeines armen Wildtieres aus, das einen ganz banalen Verkehrstod gestorben war. Seine strapazierten Nerven ließen ihn offenbar nur noch das Schlimmste erwarten.
    Der Schock saß. Dreihundert Meter weiter, kurz hinter dem Scheitelpunkt einer langgezogenen Kurve, hatte ihn der Weltschmerz fest im Griff. Angerührt war er eigentlich immer, wenn er hier vorbeikam. Heute stand ein Strauß mit kupferfarbenen Chrysanthemen neben dem schon etwas verwitterten Holzkreuz vor der großen Robinie rechts am Straßenrand. Sie denken noch immer an ihn, dachte Paul. Vor einigen Monaten hatte er eine Frau mit schulterlangem, wehendem braunen Haar gesehen, wie sie die Vase neben dem Holzkreuz säuberte und aus einer kleinen Gießkanne den Blumentopf wässerte. War es die Schwester? Die Freundin?
    Blumen für »Martin. 4. April 1976.13. Juni 1995«. Für einen gerade 19jährigen. Wer warst du, Martin? Je nach Stimmung stellte Paul ihn sich als fröhlichen braunhaarigen Burschen vor, Schreinergeselle vielleicht, der von einem volltrunkenen Freund nach einem Besuch in der Disco gegen den Baum gefahren worden war. Diese Sorte Tod stand in der Statistik der Verkehrsopfer auf dem Land an vorderster Stelle. Paul wollte schon immer mal sämtliche Holzkreuze in der näheren Umgebung zählen. Jedes Jahr kamen welche dazu.
    Und manchmal stellte er sich Martin als eines dieser kleinen Arschlöcher vor, die sich ihren besoffenen Kopf selbst und irgendwie verdientermaßen am Chausseebaum eingefahren haben. Sie waren eine Gefahr – für sich und andere. Oder etwa nicht?
    Und die dritte Möglichkeit? »Vielleicht hat er es mit Absicht getan«, flüsterte Paul und nickte einem Bussard zu, der neben der Straße auf einem Zaunpfahl saß und streng zu ihm herüberschaute. Für viele junge Leute war das Leben in einem engen, kleinen Dorf eine eher zweifelhafte Idylle. Und für einige bedeutete es ein Leben ohne Ausweg. Außer diesem.
    Vor vielen Jahren noch hätte er das ähnlich gesehen. Heute allerdings war das anders. Bremer spürte mit flackerndem Herzen, daß er

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