Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Caruso singt nicht mehr

Titel: Caruso singt nicht mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
Vom Netzwerk:
»kameradschaftlich« bezeichnete ihr Verhältnis wahrscheinlich am besten. Was ihre Vergangenheit betraf, so war sie verschlossen gewesen wie eine Auster.
    »Ich glaube«, sagte Paul hilflos, »ich kenne sie gar nicht.«
    »Das gute alte Spiel also«, kommentierte Karen ungerührt und bestellte bei Manuel die Rechnung. »Sie läßt dich nicht ran, aber hält sich dich vorsichtshalber warm.«
    »Danke für dein Verständnis«, antwortete Paul gequält.
    »Nicht beleidigt sein!« Karen legte ihre Hand auf die seine und drückte fest zu. »Vielleicht hast du ja damit sogar verdammtes Glück gehabt.«
     
    Karen vergaß, sich von Paul in den Mantel helfen zu lassen, rauschte aus dem Restaurant und schritt die Treppe hoch. Oben, vor dem Eingang zum Varieté, stand Dani Ebinger, die fürs künstlerische Programm zuständige Direktorin des »Trapez« und redete nervös auf einen blonden Artisten ein, der sich mit erhobenem rechten Arm an eine der beiden Säulen lehnte und seelenruhig lächelte. Bremer registrierte amüsiert, daß er und Karen mit geschulten Reflexen reagierten: Er musterte die muskulösen Beine des Mannes – gutes Radfahrerpotential, registrierte er anerkennend – während Karen weiter oben hinguckte. Wir sind schamlos, dachte Paul flüchtig und sah beruhigt, daß der Mann genauso schamlos zurückguckte. Auf Karen. Von unten bis oben. Der Mann hatte Humor und Geschmack, dachte Paul in dem Moment, als ihre Blicke sich kreuzten. Er kennt mich, durchfuhr es ihn, als er das Aufblitzen in den Augen des anderen sah. Und das erschreckt ihn. Aber wo sollten sie einander begegnet sein? Bremer schob den Gedanken von sich. Er hakte Karen mit einem Anflug von Besitzerstolz unter und grüßte Dani, die freundlich, aber zerstreut herüberwinkte. Im Hinausgehen bemerkte er ein etwa fünfmarkstückgroßes Mal auf dem Unterarm des Artisten, direkt unterhalb der Armbeuge. Karen hatte es auch gesehen.
    »Mir wäre auch ohne diesen Hinweis aufgefallen, was für schöne Arme der Kerl hat«, sagte sie und warf den Kopf in den Nacken. »Man sollte mal wieder eine Abendvorstellung besuchen!«
    Wenigstens ließ sie sich diesmal die Tür zum Taxi aufhalten.
7
    Bremer brauchte Frankfurt. Etwa alle zwei Wochen. Und er genoß es, zurückzukommen in sein Dorf, wo ihn am Ortseingang schon die vertrauten Geräusche und Gerüche überfielen: das hohe Jaulen einer Kreissäge, das Aufheulen des Rasenmähers von Erwin und der Gestank aus dem Gülletankwagen von Schweinebauer Knöß. Als er das Gartentörchen öffnete, mischte sich ein weiteres, ein unvertrautes Geräusch in die vormittägliche Lärmorgie, das er nicht gleich einordnen konnte.
    Wenn es nicht heutzutage Fernsehprogramme rund um die Uhr gäbe – und wenn er überhaupt einen Fernseher hätte –, dann hätte er das, was er jetzt hörte, für das weiße Rauschen nach Sendeschluß gehalten. Und wenn er ein etwas größeres, sozusagen städtisches Modell jener Zierbrunnenanlagen besäße, die man im Baumarkt in Haslingen bekam, weshalb schon drei seiner Nachbarn eine hatten, dann hätte er ebenfalls eine weit angenehmere Erklärung für das gehabt, was von seinem Haus her zu ihm herüberklang. Aber es gab eigentlich nur eine Möglichkeit. Er beschleunigte seine Schritte. Als er vor der Haustür stand, floß ihm ein dünnes Rinnsal entgegen.
    Paul schloß mit fliegenden Fingern die Haustür auf und stürzte die Treppe hinauf ins Bad, wo ein scharfer Wasserstrahl eine Handbreit unterhalb des elektrischen Durchlauferhitzers austrat, in hohem Bogen auf die Decke traf, von der Putz und Farbe bereits in dicken Placken abgesprungen waren, an der Wand herunterlief und gurgelnd über den Fußboden zum Bodenabfluß strömte. Kaltwasserzuleitung, notierte er automatisch. Defekte Dichtung. Als er ein Stockwerk tiefer in die Küche gehastet war, um dort den Haupthahn abzudrehen, sah er, was er schon geahnt hatte: daß der Bodenabfluß nur einen Bruchteil des Wasser aufgenommen hatte. Die Wassermassen waren an der Wand vom Badezimmer im ersten Stock entlang in die direkt darunterliegende Küche im Parterre geflossen. Was Fußboden und Wand nicht aufgesogen hatten, bewegte sich nun Richtung Haustür.
    Paul stöhnte und setzte sich auf die Treppe. Bremer, du bist ein Verlierer, dachte er verbittert. Knapp dem Hochwasser entgangen. Kein Wasserrohrbruch im Winter. Aber es holt dich ein – es holt dich ein!
    Eine läppische, blöde, öde Dichtung. Paul fluchte laut und atmete tief durch. Das

Weitere Kostenlose Bücher