Caruso singt nicht mehr
umzubringen.«
Paul streckte vorsichtig die Hand nach dem Hals des Pferdes aus. Er traute Pferden nicht. Sie hatten so verdammt große Zähne.
»Sie haben keine Angst vor Menschen, wenn die sich richtig verhalten. Nähere dich den Gäulen langsam, ruhig und mit einem Apfel in der Hand, und schon ist ein Pferd da, jedenfalls die neugierigen, die Leittiere – und vor allem gute Reitpferde, die an Menschen gewöhnt sind.«
Sie gab dem Pferd einen Klaps.
»Und dann nimmst du das Tier am Halfter, bindest es irgendwo fest – am Zaun, sonstwo –, fesselst ihm die Hinterbeine – und schon kannst du machen, was du willst.« Anne schluckte. Allein bei der Vorstellung wurde ihr übel.
»Niemand wird es hören. Pferde schreien nicht.«
Paul streichelte ihren Arm.
»›Das Schweigen der Pferde‹ wäre auch ein guter Krimititel gewesen«, sagte Anne und wandte sich ab.
Sie erlaubte ihm, den Arm um ihre Schultern zu legen, als sie zum Hofladen zurückgingen. Er ist ein netter Kerl, Anne, redete sie sich zu. Dabei wußte sie ganz genau, daß sie sich noch nie in nette Kerle verliebt hatte. Als sie an seinem Auto angelangt waren, küßte sie ihn auf die Wange. Er hätte sie am liebsten heftig umarmt. Und wußte im selben Moment, daß das der größte Fehler wäre, den er machen könnte.
Anne wunderte sich über seine Kühle. Wahrscheinlich ist es besser so, sagte sie sich und trat einen Schritt zurück, während Paul sein Auto startete. Er legte den Gang ein und fuhr vom Hof. Er hatte vergessen, sich zu erkundigen, ob er wirklich sie gesehen hatte – morgens. Hinter einem Jeep mit verschmutztem und deshalb praktischerweise unleserlichem Kennzeichen. »Der Flug des Falken«. Am Tag des Mordes.
Aber auf eine solche Frage hätte er unter Garantie auch keine Antwort gekriegt.
11
Bremer hätte es sich ja denken können. Aber er hatte einfach vergessen, mit welcher Wucht eine Frau wie Karen in seinem ruhigen kleinen Dorf einschlagen konnte. Schon bei ihrem letzten Besuch war sie die Sensation des Tages gewesen und hatte Gesprächsstoff für mindestens eine Woche hinterlassen. Die Anspielungen, die auf ihr Verhältnis zu Paul zielten, waren alles andere als schmeichelhaft – für Paul. »Ist sie nicht ’ne Nummer zu groß für dich?« hatte Willi mitleidig gefragt. Und Marianne hatte spitz gemeint: »Sie will wohl gucken, ob du schon verbauert bist?«
Auch diesmal schenkte man ihrer Ankunft die gebührende Aufmerksamkeit, als sie mit ihrem grasgrünen MG vor Pauls Haus bremste und ausstieg. Der junge Noth mit dem Wieselgesicht, den Paul nicht leiden konnte, vergaß tatsächlich für einen Moment, zornig am klemmenden Schacht des Zigarettenautomaten zu rütteln. Der Sohn vom Schweinebauern Knöß stierte im Rückspiegel seines Traktors nach Karen und hätte fast das eigene Hoftor eingerammt. Selbst Erwin stellte seinen Rasenmäher ab und kam an den Zaun, um sich die Szene nicht entgegen zu lassen.
»Baaah, das stinkt hier ja wieder wie im Zoo«, rief Karen fröhlich und lauthals zur Begrüßung über die Dorfstraße. Paul lächelte gequält. Sie sah großartig aus.
Heute trug sie zur Jeans – ein Zugeständnis, dachte Paul, an seine ländliche Existenz – knallrote Pumps mit ziemlich hohen Absätzen und ein ebenso flammenfarbenes Jackett, was sich, wie Bremer fand, ein bißchen mit den dunkelroten Haaren balgte. Mit Schwung warf sie die Tür ihres grasgrünen Sportwagens hinter sich zu und stakste um die kuhfladengesäumte Wasserpfütze vor Pauls Haus herum, um ihm, der am Gartentor auf sie wartete, geräuschvoll die Wangen zu küssen. Das ließ tiefrote Lippenstiftspuren zurück. Wie immer.
»Was macht das inzüchtige Landleben?« rief Karen zur Begrüßung.
»Schrei doch nicht so«, flehte Paul.
»Ach was«, tönte Karen fröhlich, »das Landvolk hat Humor.« Gottfried, der wieder einmal auf seinem Beobachungsposten saß, winkte gutgelaunt herüber. Vielleicht hatte sie ja recht.
Marianne, die mit dem Besen dem allabendlichen Kuhschiß hinterher war, grüßte nicht. Karen war nicht ihr Fall. »Wie unterschiedlich die beiden sind«, dachte Paul. Beide waren seine Freundinnen. Aber am Unterschied zwischen Marianne und Karen las er seine eigene Veränderung ab, seit er hier und nicht mehr in der Stadt lebte.
Marianne war eine kräftige, sonnengebräunte Frau mit breiten Schultern, großen blauen Augen und einem leichten Flaum auf der Oberlippe. Noch an kühlen Herbsttagen trug sie knappe Radlerhosen oder kurze, in
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