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Caruso singt nicht mehr

Titel: Caruso singt nicht mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Freundlichkeiten zuständige Hund vom Weiherhof. Der Hund für die nötigen Unfreundlichkeiten bellte – völlig korrekt, dachte Paul. Er fand Anne im Gastraum hinter der Theke, dort, wo sie ihren Feriengästen Apfelwein und Ökobier ausschenkte. Sie blätterte mit gerunzelter Stirn in ihrem Auftragsbuch und sah erst auf, als er fast vor ihr stand. Paul bildete sich ein, daß sie sich über seinen Besuch freute. Wenigstens ein bißchen.
    Sollte er »herzliches Beileid« sagen? Seine Generation hatte diese Worte als floskelhafte Höflichkeit aus dem Sprachschatz gestrichen und für Ersatz nicht gesorgt. Ihm wäre eine gute, alte, bewährte Floskel gerade recht gekommen, um die Verlegenheit zu überbrücken, die zwischen ihnen stand.
    »Es tut mir leid«, brachte er schließlich heraus. Sie nickte und legte das Auftragsbuch beiseite.
    »Willst du dich setzen? Ein Bier?«
    Paul schüttelte den Kopf. Sie wirkte trotzig, nicht traurig.
    »Ich mach hier nicht die Trauernummer«, sagte sie und warf den dicken grauen Hofkater vom Stuhl, bevor sie sich setzte. Und brach im selben Moment in Tränen aus.
    Keine Trauernummer, dachte Paul und legte ungeschickt den Arm um sie. Aha.
    Als sie sich beruhigt und kräftig ins Taschentuch geschneuzt hatte, das er ihr hinhielt, ging er selbst zum Zapfhahn und zapfte zwei Bier.
    »Erzähl«, sagte er, als er ihres vor sie hinstellte. Sie sah blaß aus, wie sie da in Leggings, kariertem Hemd und Sandalen am Tisch saß – ganz schön mitgenommen, dachte Paul. Und ihre Brille könnte mal wieder geputzt werden. Sie hatte heute sicher nicht zum ersten Mal geweint. Das gab ihm einen kleinen, eifersüchtigen Stich: Sie mußte ihren Mann geliebt haben. Mehr, als er geglaubt hatte.
    Doch ihre Kälte überraschte ihn. »Ich wünschte, er hätte sich nie hier blicken lassen«, verkündete Anne bitter. »Ich wünschte, ich hätte ihn nie wiedergesehen.«
    »Leo?« fragte Paul.
    »Leo Matern. Mein Mann. Mein sogenannter Mann. Der Grund, warum ich in diesem gottverlassenen Landstrich gelandet bin.« Anne nahm einen großen Schluck aus dem Bierglas und strich sich die verstrubbelten blonden Haare hinter die Ohren. »Er war ja kaum vorhanden die letzten fünf Jahre. Aber ausgerechnet hier läßt er sich auf bestialische Weise umbringen. Ausgerechnet.«
    Ich finde sie auch in verheultem Zustand noch schön, dachte Paul und versuchte zu begreifen, was sie ihm da erzählte.
    »Was hattet ihr denn«, fragte er unbeholfen, »für eine Beziehung?«
    »Beziehung?« fragte Anne zurück und verzog das Gesicht. »Er kam, wann er wollte. Meist unangemeldet. Und ging wieder, wann immer es ihm paßte.«
    »Und das hast du dir gefallen lassen?«
    Anne zuckte mit den Schultern. »Warum nicht? Eine Ehe war das schon lange nicht mehr.«
    »Und – warum habt ihr euch nicht scheiden lassen?«
    Anne machte eine wegwerfende Handbewegung, als ob sich sogar das nicht gelohnt hätte.
    »Und Rena?«
    »Sie konnte Leo nicht ausstehen.«
    »Den eigenen Vater?«
    Anne schüttelte den Kopf. »Als Leo kam, gab es Rena längst. Und die hatte sich an ein Leben ohne Vater ziemlich gewöhnt.«
    »Und wann hattet ihr mal eine Ehe, Leo und du – vorher? In Kiel?« fragte Paul leise.
    »Ach, um Himmels willen«, sagte Anne, schob ihren Stuhl geräuschvoll nach hinten und stand auf. »Jetzt hat sich das auch hier schon herumgesprochen.«
    Holte die Vergangenheit sie denn immer wieder ein? Anne war wütend – auch auf den Mann, dem sie eben noch heulend an der Brust gelegen hatte. Der sie in einem schwachen Moment erwischt hatte. Und dem sie gerade beinahe die ganze elendige Geschichte erzählt hätte. Du bist zu vertrauensselig, wies sie sich zurecht und ging zum Kühlschrank. Sie spürte, wie Paul ihr traurig hinterhersah. Das machte sie noch wütender. Ich kann nicht, dachte sie. Ich kann einfach nicht.
    Anne stellte einen Teller mit Lammsalami und eingelegten Gurken auf den Tisch. »Bier?« fragte sie Paul, ohne ihn anzusehen.
    »Ja«, sagte er genauso wortkarg. Irgendwie war es ihm offenbar schon wieder gelungen, das bißchen Vertrauen, das sie ihm entgegenbrachte, zunichte zu machen. Oder war sie es, die zu Vertrauen gar nicht in der Lage war?
    Anne hielt ein frisches Glas unter den Zapfhahn und holte tief Luft. »Kiel ist Vergangenheit, Paul«, sagte sie. Wenigstens sah sie ihn jetzt wieder an. »Daran will ich nicht denken, daran will ich nicht erinnert werden. Ich habe damit gebrochen, vollständig, ganz und gar.« Ihre Stimme

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