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Caruso singt nicht mehr

Titel: Caruso singt nicht mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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sah ihn nicht an. Aber er begriff auch so.
    »Laß dir Zeit«, sagte er, mit trockenem Mund.
    »Mach’s gut«, sagte sie. Und: »Ich meld mich bei dir.«
     
    Er verließ den Weiherhof, ohne auf den braunen, zerbeulten Jeep zu achten, der von der Straße her in den Feldweg einbog. Fast wäre er ihm zu spät ausgewichen. Der »Flug des Falken« war offenbar doch noch nicht auf dem Schrottplatz gelandet. Der Anblick der lädierten Kiste ärgerte ihn. Unter normalen Umständen wäre er zurückgekehrt, um endlich herauszufinden, wer Anne da zu jeder Tages- und Nachtzeit besuchen durfte. Aber was war schon normal an seiner Beziehung zu ihr?
    Anne gab ihm Rätsel auf. Sie hatte alle wichtigen Fragen ausgespart: zum Beispiel, warum ihr Weg sie von Kiel und Ostberlin ausgerechnet in die tiefste hessische Rhön geführt hatte. Was sie mit Leo verband. Und was sie einander entfremdet hatte. Warum eine junge Friedensaktivistin für die Stasi interessant war. Und warum sie sich Selbstvorwürfe machte.
    Paul ärgerte sich. Im Grunde hatte sie ihm wieder einmal gar nichts erzählt.
    Anne, dachte er, war ihm nah. Und zugleich war sie ihm fremd. So fremd wie gelbe Regenjacken und Mahnwachen. So fremd wie die Szene, der sie sich damals zugehörig gefühlt hatte. So fremd wie die DDR, ein Land und ein politischer Zustand, die ihm immer herzlich gleichgültig gewesen waren. Er hatte sich in Frankfurt am Main am Nabel der Welt gefühlt. Weitläufig und aufgeklärt, realistisch, mit einem Schuß Zynismus. Heute mußte er zugeben, daß Anne eine etwas weniger kleinkarierte Sicht der globalen Situation gehabt hatte.
    Sie hatte damals etwas riskiert. Mehr, als er sich je getraut hätte. Er hatte sich in all den Jahren für alles mögliche interessiert – für moderne Kunst, hohe Werbeetats und die neue Shimano-Fahrrad-Schaltung. Nur nicht für Politik, schon gar nicht für die politische Lage jenseits des Eisernen Vorhangs. Das unterschied Anne und ihn voneinander – nicht gerade, wie Bremer sich schulterzuckend klarmachte, zu seinen Gunsten.
    Paul Bremer fuhr in Klein-Roda ein. »Hier kommt der Mann von der Toscana-Fraktion«, sagte er laut. Vor seinem Haus kam ihm mit wehendem Schwanz Nachbar Müllers Berner Bello entgegen.
4
    Bremer stieg aus und verfluchte präventiv den Postboten. Das Gartentor stand offen. Drei seiner sechs Rosenkohlpflanzen lagen entwurzelt im Gemüsegarten, den, mitten in einem von Riesenpfoten ausgehobenen Krater, ein großer hellbrauner, noch dampfender Haufen zierte. Paul setzte sich auf die Gartenbank und fing an zu lachen. Endlich hatte er mal ein Problem, das er auch lösen konnte. Er ging zum Schuppen, hob den Deckel von der Hausgrube, holte die große rote Sandschaufel und nahm den Haufen auf die Schippe, um ihn in der Klärgrube zu versenken. Die Grube war fast voll. Er mußte Bauer Knöß bitten, mit dem Güllewagen zu kommen und sie abzupumpen. Auch seine Scheiße würde dann wahrscheinlich in der naturgeschützten Flußaue landen. Aber wenigstens, dachte Bremer selbstgerecht, ohne gebrauchte Slipeinlagen. Es hatte auch Vorteile, ein Mann zu sein.
    Marianne war, ohne daß er es merkte, durchs Gartentor gekommen. »Ich hasse diesen Köter«, sagte sie. »Mir ist so ein ganzer Batzen mal unter den Rasenmäher geraten. Ich sage dir …«
    Sie gingen noch immer sehr vorsichtig miteinander um, seit ihrem Streit vorgestern, von dem Paul heute nicht mehr wußte, ob er ihn nicht vielleicht überinterpretiert hatte. Das wäre ihm am liebsten: wenn alles beim alten bliebe.
    Marianne hatte einen Laib Brot unter dem Arm. Sie steckte ihm gerne etwas zu. Im Sommer Kopfsalat, typischerweise unter dem Vorwand: »Der muß weg, der schießt.« Selbstgebackenes Brot, wie heute. Oder Frikadellen, wenn Schlachttag war.
    »Hast du’s gehört?« begann sie zaghaft. »Es kam in den Nachrichten.«
    Paul mußte passen.
    »Eine Warnung an Spaziergänger und Pilzesammler im Wald.«
    Tollwütige Füchse? Verseuchte Pilze? Ausgeflippte Wildschweine? Paul glaubte den Katalog der üblichen Katastrophen zu kennen.
    »Tagsüber verstecken sie sich in Erdlöchern, um nachts auf Raubzüge zu gehen.« Marianne sah ihn erwartungsvoll an. Bremer guckte höflich zurück.
    »Die Rumänen, du Depp«, sagte seine Nachbarin. »Es kam im Radio.«
    Paul stöhnte innerlich auf, brachte das Brot ins Haus und setzte sich neben sie auf die Gartenbank. Marianne brauchte ihre Rumänenbande, wie er den Glauben an den Wechsel der Jahreszeiten benötigte.

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