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Caruso singt nicht mehr

Titel: Caruso singt nicht mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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es in einem himmelblauen VW-Käfer, Anne.« Danach in einer weichgefederten Ente, bei heruntergerolltem Verdeck. Später in einem Golf. Und einmal, auf dem Höhepunkt dessen, was er seine Yuppie-Phase nannte, in einem Porsche. »Von Sportwagen rate ich ab«, sagte er und lehnte sich an das Gatter, daß ihn von Anne, dem Pferd und dem Hund trennte. Dagobert hatte sich ins Stroh gelegt, öffnete aber sofort ein mißtrauisches Auge, als Paul sich bewegte.
    Anne lachte schallend auf. »Paul, du hast eine schmutzige Phantasie. Nein, im Trabant ist es natürlich nicht passiert. Um Himmels willen.«
    »Es« war in dem passiert, was Leo seine »Datsche« nannte, eine Hütte in einem handtuchschmalen Schrebergarten.
    »Und die Details gehen dich eigentlich auch nichts an.« Anne merkte, wie ihr die Wärme ins Gesicht stieg. Du kannst doch einem Verehrer nicht von den alten Bettgeschichten mit einem anderen Mann vorschwärmen, ermahnte sie sich. Insbesondere nicht von diesem hier – und vor allem nicht von diesem ersten Mal, an das sie sich genau erinnerte, an jedes Detail. An den lauwarmen Rotkäppchensekt, den er geöffnet hatte, ein scheußliches Zeug, das sie damals himmlisch fand. An die Bank vor der Tür, auf der sie sich das erste Mal geküßt hatten. An die Art, wie er sich sein Hemd über den Kopf zog. Wie er sie berührte. Mit welcher Geduld er auf sie wartete. »Wir haben doch nach Feierabend nichts Besseres zu tun«, hatte er lachend ihre zärtlichen Komplimente kommentiert.
    Will ich das jetzt alles wirklich so genau wissen? dachte Bremer und betrachtete sie nachdenklich. Er glaubte ihr anzusehen, daß sie ihn immer noch liebte, ihren Leo. Sie hatte gerötete Wangen. Und glänzende Augen. Einmal so geliebt werden, dachte Paul. Und: einmal so lieben.
    Sibylle und er: Nun, man paßte zueinander, das fanden alle. Man hatte sich verständigt. Man hatte die gleichen Interessen. Aber geliebt? Geliebt hatte er sie erst, als sie für ihn verloren war. Soweit er wußte, war das der sozusagen klassische Gemütszustand des männlichen Neurotikers. Er sah Anne an und atmete einmal tief ein. »Erzähl ruhig, Anne«, sagte er.
    Sie sah ihn nicht an. Nein, sie konnte ihm das nicht erzählen. Nicht, daß sie Wochenende für Wochenende nach Berlin gefahren war – keineswegs, um Leute aus der DDR-Friedensszene zu treffen oder gemeinsame Aktionen zu planen oder wenigstens an den Parties am Prenzlauer Berg teilzunehmen. Sondern um Leo zu sehen.
    Er habe keine Lust, sie mit anderen zu teilen, hatte Leo behauptet. Also machten sie endlose Spaziergänge und liebten sich in seiner Gartenhütte – ebenso endlos, wie ihr schien. Verliebte brauchen selten mehr.
    Manchmal fiel ihr auf, wie wenig er von sich erzählte. Manchmal fragte sie sich, wo er wohl hinging, wenn sie um Mitternacht über die Grenze mußte. Manchmal wunderte sie sich, daß sie noch nicht einmal wußte, wo er wohnte. Manchmal verdächtigte sie ihn, eine andere zu haben. Oft sorgte sie sich um ihn, wenn wieder einmal eine Aktion der Berliner Dissidentenszene aufflog oder mit Verhaftungen endete.
    »Es war ein sehr heißer, ein sehr intensiver Sommer, Paul«, sagte sie schließlich. »Ich habe meinen ganzen Idealismus, die Politik, die Moral und die Friedensbewegung sausen lassen. Für einen Mann.«
    »War das eine so schlechte Idee?« Er, dachte Bremer, hatte es wesentlich weniger geschickt angestellt: Er hatte seine Frau sausen lassen. Für ein paar Gehaltsstufen mehr.
    »Für einen Mann, über den ich im Grunde nichts wußte.«
    Paul zuckte mit den Schultern. Er verstand nicht, warum sie sich plötzlich Selbstvorwürfe zu machen schien.
    »Um mich herum wurden die Leute aus der Friedensbewegung terrorisiert, verhaftet, ausgewiesen – und ich habe nichts gemerkt!«
    »Was hättest du denn merken sollen?«, fragte Paul, im naiven Wunsch, sie gegen ihre eigenen Vorwürfe zu verteidigen. »Du warst verliebt!«
    »Macht Liebe dumm?« fragte sie ihn zurück, mit einem leichten Zittern in der Stimme. Warum, zum Teufel, war er so begriffsstutzig?
    »Manchmal«, sagte Paul. »Meistens.« Er betrachtete Anne, ihren gesenkten Kopf mit den zerzausten blonden Haaren, und seufzte innerlich auf. Keine Ahnung, was er jetzt schon wieder falsch gemacht hatte. Aber er spürte, wie sie sich wieder verschloß.
    Anne streichelte Dagobert, der zu ihren Füßen gelegen hatte und sich nun streckte, gähnte und sich erwartungsvoll aufrichtete. Ihr war kalt geworden.
    »Paul«, sagte sie und

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