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Caruso singt nicht mehr

Titel: Caruso singt nicht mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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wie besoffen. Ich hab noch auszuweichen versucht, aber« – Rudolf hob die Hände – »nichts zu machen.«
    »Seitlich rechts hat’s uns erwischt. Immer auf die armen Beifahrer.« Werner nahm einen tiefen Schluck. Er wirkte nicht sehr mitgenommen.
    »Ich nehme an, ihr hättet ihn lieber mit einem Blattschuß erledigt, oder?«
    »Na, aber wirklich«, sagte Rudolf. »Das wäre entschieden sauberer gewesen. Das Tier hatte eine geplatzte Bauchdecke« – »Und die Gedärme hingen schon raus«, ergänzte Werner. »Das reicht! Mir schmeckt das Bier sonst nicht mehr!« protestierte Anne, stand auf und zapfte noch mal drei.
    Sie mochte die beiden. Sie gehörten nicht zum üblichen spießigen Jagdzirkus, trugen keinen Gamsbart am Hut oder betrieben auffälligen Waffenkult oder warfen mit Jägerlatein um sich wie: »Und dann habe ich ihn waidgerecht aus der Decke geschlagen.« Auch Flachmänner aus Stirlingsilber oder heizbare Socken traute sie den beiden nicht zu. Und die sportlich-asketische Variante schloß sie bei Rudolf und Werner erst recht aus, derzufolge man stundenlang auf dem Hochsitz bibbern mußte, um dann unverrichteter Dinge nach Hause zu fahren, nicht ohne vom »einmaligen Naturerlebnis« zu schwärmen. Nein, beide lieferten ihr zuverlässig Fleisch und waren, dachte Anne dankbar, einfach richtig nette Kerle.
    Anne holte ihr Kassenbuch, errechnete den Anteil der beiden am verkauften Wildbret und stellte einen Scheck aus.
    »Waidmannsdank!« sagte Rudolf und legte die Handkante an die imaginäre Hutkrempe.
    »Irgendwelche Wünsche?« fragte Werner.
    »Wildschweinbraten«, sagte Anne. »Der geht gut weg.«
    »Wie befohlen.« Rudolf klopfte die Pfeife aus.
    »Man tut, was man kann!«, ergänzte Werner.
     
    Draußen war es fast dunkel. Anne brachte die beiden bis zum Auto und atmete die feuchte Abendluft ein, den Duft von moderndem Laub, von Pferdeäpfeln, den scharfen Geruch, den der große graue Kater am Türstock hinterlassen hatte. Katzweg kaufen, notierte sich Anne im Kopf. Auch wenn es nicht viel nützte – außer dem Hersteller. Dann trieb sie das Federvieh in den Stall.
    Ein kühler Lufthauch bewegte die Lampe, die, zwischen zwei Seile gespannt, über dem Hof hing. »Schriek«, machte sie dabei. »Schriek.« Anne horchte auf. In den vertrauten Ton mischte sich ein anderer, von ferne her. Ein sehnsüchtiger Laut, der näher kam. Immer näher. Anne legte den Kopf in den Nacken und starrte in den dunkler werdenden Himmel, aus dem die Sterne herauszutreten begannen. Eine Schar von Wildgänsen flog rufend über ihren Kopf hinweg – ein Ruf, der von den Weiherhof-Gänsen beantwortet wurde, mit einem ebenso sehnsüchtigen Ton, sehnsüchtiger vielleicht noch, weil er nur gedämpft aus dem Stall nach draußen drang.
    Zwanzig, nein, Anne zählte nach: fünfundzwanzig Gänse flogen durch die Nacht. Die Vögel mit dem majestätisch langsamen Flügelschlag und dem langen Hals bildeten einen Keil, wechselten im Fluge seitwärts die Plätze und fächerten sich nach kurzem Durcheinander wieder aus zu einem Haken, dessen eine Seite kürzer war als die andere. Wie Rauchzeichen, dachte Anne. Wie ein Menetekel. Sie schauderte. Von seinem Zwinger neben dem Wohnhaus schickte Dagobert ein herzzerreißendes Heulen in die Nacht. Anne flüchtete in den hellerleuchteten Hofladen. Nur keine Melancholie jetzt, dachte sie. Nur keine Sentimentalitäten. Es wurde Herbst. Das war alles.
    Anne spülte die Gläser von Rudolf und Werner, setzte sie auf das Trockenrost und zapfte sich ein Bier. Sie schnitt zwei Scheiben Bauernbrot ab und stellte Butter und ein Glas mit kleinen eingelegten Gurken auf den runden Tisch. Dann ging sie durch den Wirtschaftsraum, in dem die große Edelstahlspüle stand, die Knochensäge und der Hackklotz und das Gerät, mit dem man die Fleischstücke vakuumverpacken konnte. Sie öffnete die Kühlkammer rechts, in der die frisch geschlachteten Enten und eine Gans hingen, eine Wildschweinkeule und, ganz hinten, die luftgetrockneten Würste, die ihr der Metzger gestern vorbeigebracht hatte. Sie ging hinein und ließ die Tür angelehnt.
    Anne schlachtete nicht selbst. Sie war froh, daß sie einen guten Metzger gefunden hatte, der nach den strengen Richtlinien des Bio-Gütesiegels arbeitete. Die langen, dünnen Lammsalami gerieten ihm, fanden alle, am besten. Anne griff nach dem Wurstpärchen ganz rechts außen, als sie, leise nur, hinter sich ein Geräusch hörte. Sie drehte sich um und sah noch, wie sich der

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