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Caruso singt nicht mehr

Titel: Caruso singt nicht mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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große Hebel an der schweren Kühlkammertür langsam nach oben drehte. Irgend jemand erlaubte sich einen Scherz. »Rena?« rief sie, halb irritiert, halb belustigt. Selbstverständlich war die Kühlkammer, ein älteres Modell zwar und nicht nach den allerneuesten Sicherheitsstandards gebaut, auch von innen zu öffnen. Dann hörte sie, wie der Schlüssel sich im Schlüsselloch drehte. Das war nun gar nicht mehr komisch. Sie war mit zwei Schritten an der Tür. Die Tür war zu, ließ sich nicht öffnen. Sie war eingeschlossen.
    Anne fühlte, wie Panik sie überfiel. Sie spürte einen metallenen Geschmack auf der Zunge. Ihr Herz raste. Mit weichen Knien lehnte sie sich an die Tür, ihr war übel, fast hätte sie sich übergeben. Eingesperrtsein stand in ihrem persönlichen Katalog von Albträumen an vorderster Stelle – Rena, durchfuhr sie ein Hoffnungsschimmer, hoffentlich sucht Rena nach mir. Sie trommelte mit beiden Fäusten an die dicke, gut isolierte und gepolsterte Tür und schrie Renas Namen. Wieder und wieder »Hilfe« und »Hört mich denn niemand?«
    »Rena!« Wo war Rena, durchfuhr es sie, sie hatte sie heute abend doch noch gar nicht gesehen?
    »Ich will hier raus«, schrie sie. Was, wenn Rena etwas passiert war? Und man tagelang nicht nach ihr suchen würde? Anne schrie.
    Immer wieder: »Hilfe!« Und »Hallo!« Und: »Ist da niemand?«
    Und: »Verdammt!«
    Schließlich schmerzten ihre Fäuste, und ihre Stimme wurde heiser. Wütend und hilflos brach sie in Tränen aus. Dann setzte langsam ihr Verstand wieder ein. Nein, schreien hatte keinen Sinn. Es würde sie niemand hören.
    »Reiß dich zusammen!« zischte sie sich zu und nahm erschrocken das weiße Wölkchen wahr, das vor ihrem Mund in die Luft stieg. Die Temperatur in den Kühlkammern lag meistens um die fünf Grad. Die kalte Luft wurde durch ein Gebläse gleichmäßig in der Kühlkammer verteilt. Sie hatte nur Leggins und ein Sweatshirt an. An den Füßen Sandalen. Stirbt man an so etwas? durchfuhr es sie.
    Und wann würde man auf dem Hof bemerken, daß sie nicht da war?
    Wenigstens konnte man hier nicht verhungern. Anne nahm einen großen Biß von der Salami, die sie noch in der Hand hielt, und sandte ein Stoßgebet hoch zum Herrgott, an den sie normalerweise nicht sehr innig glaubte. »Laß es bald vorbei sein, lieber Gott.« Sie versuchte, langsamer zu atmen und die helle Aufregung ihres Körpers zu dämpfen. Spätestens morgen früh würde man sie suchen. Und sie finden, mit, wenn sie Glück hatte, keinem größeren Schaden als einem Schnupfen.
    Wenn man wenigstens etwas tun könnte! Aber aus der Tür kam sie nicht raus. Das Schloß konnte man von innen nicht knacken, denn ein Schlüsselloch gab es nur außen. Gewalt? Eine Stahltür hob man nicht so eben mal aus den Angeln. Ein Fenster gab es nicht.
    Könnte man wenigstens das Kühlaggregat von innen ausschalten? Anne biß sich nervös auf die Unterlippe. Der Sicherungskasten für die Kühlanlage war draußen. Einen Kurzschluß erzeugen? Natürlich – man konnte die Glühbirnen der beiden Lampen zerstören, die die Kühlkammer bis in jede Ecke ausleuchteten. Sie verwarf den Gedanken gleich wieder. Dann sitzt du hier in der Eiseskälte auch noch in tiefster Dunkelheit, dachte sie. Das Kühlaggregat selbst hatte außerdem eine eigene Sicherung, das würde also gar nichts nützen. Höchstens das Licht im Hofladen würde dann mit ausgehen. Es dürfte allerdings niemanden sonderlich wundern, wenn es um diese Tageszeit dort dunkel wäre.
    Sie mußte abwarten. Geduld haben. Noch war ihr warm vom Rufen und Klopfen. Das konnte sich bald ändern. Sie begann durch die enge Kühlkammer zu gehen. Sechs Schritte vor, Kehrtwende, sechs Schritte zurück. Entnervt lehnte sie sich an das Regal links, in dem sie, eingeschweißt in dicke Plastikfolie, die Lammkeulen, Rinderbraten und andere kleinere Fleischstücke lagerte. Sie versuchte im Kopf den Geldwert all des toten Fleisches zu schätzen, das sie hier umgab. Für die Beerdigung würde es reichen.
    Schließlich kauerte sie sich in die Ecke unter die Würste, die Kühlkammertür fest im Blick, versuchte an nichts zu denken und horchte auf ihren Herzschlag. Bald war ihr wirklich kalt. Vor allem beim Gedanken, wer sie hier eingeschlossen hatte und warum. Würde sie, wenn sich die Tür wieder öffnete, ihren Mörder sehen?
    Sie sprang auf und lief wieder zur Tür, wollte dagegenschlagen, hämmern, treten. Als etwas Kaltes, Klammes nach ihr zu greifen schien, schrie

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