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Caruso singt nicht mehr

Titel: Caruso singt nicht mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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zum Haus zurück. Lautes Wummern empfing sie, das sich aus Renas Zimmer über den Hof ausbreitete. »Mach es mir nicht nach, Rena«, murmelte sie inbrünstig. »Und versuch auch bitte nicht, es ganz anders zu machen.« Denn den Umweg, das wußte sie, konnte man sich sparen.
    Rena hatte sich in ihr Zimmer eingeschlossen und öffnete auch auf energisches Klopfen nicht. Wenigstens drehte sie die Musik leiser. Boris, der dicke graue Kater, räkelte sich schon auf Annes Lieblingsplatz und gähnte ausgiebig, als sie ins Wohnzimmer kam, um den Kamin zu säubern und Feuer zu machen. Sie goß sich einen großen Schluck Whisky ein und horchte am Fenster auf die Geräusche der beginnenden Nacht.
    »Auf dein Wohl, Erika Burau«, sagte sie leise.
6
    »Und Sie haben Ihren Mann vor seinem Tod wirklich gar nicht mehr gesehen?« fragte Frau Schneider mit vor Neugierde blitzenden kleinen Brombeeraugen im rosigen Gesicht. Der Hofladen war voll, selten ging das Geschäft so gut wie heute. Um 14 Uhr hatte Anne geöffnet und seither keine ruhige Minute mehr gehabt. Frau Schneider schüttelte ungläubig die weißen Löckchen. Sie wußte immer , wo ihr Walter war. »Und man hat ihn – erwürgt?« fragte die kleine Bärbel aus Ebersgrund, bei der Anne sich die Haare schneiden ließ. »Mit einer Drahtschlinge«, entgegnete Anne müde. Bärbel schüttelte sich, Frau Schneider murmelte »Herrje, herrje«. »Und was ein Glück, daß Sie wenigstens den Brand rechtzeitig bemerkt haben, nicht?« flötete die Apothekersfrau mit falscher Herzlichkeit, während sie sich von Anne die Lammkoteletts einpacken ließ. Ihr sensationsgeilen Kühe, dachte Anne unfreundlich.
    Um 17 Uhr war die Tortur endlich vorbei. Anne stöhnte vor Überdruß, schloß den Hofladen ab und zog sich Gummistiefel und Jacke an für den Rundgang über Hof und Koppeln. Sammy tanzte begeistert um sie herum. »Schon gut«, sagte sie zu ihm und tätschelte seinen Kopf, »genieß es ruhig, daß du wieder Hahn im Korb bist.« Dagobert hatte sie mittags in den Zwinger sperren müssen, aus Rücksicht auf die vielen Besucher.
    Obwohl Krysztof den größten Teil der verkohlten Trümmer bereits weggeräumt hatte, tat ihr der Anblick des abgebrannten Pferdestalls weh. Natürlich würde die Versicherung zahlen, das hatte sie heute morgen schon in die Wege geleitet. Für den materiellen Verlust. Aber das war ja nicht alles, was weh tat.
    Sie lief an den stinkenden Trümmern vorbei zur Pferdekoppel. Schon von weitem sah sie jemanden auf dem Gatter sitzen, umringt von vieren ihrer Pferde. Sie merkte, wie sie zornig wurde. Wer war das? Hier hatte niemand außer ihr etwas zu suchen. Die schlanke Gestalt erinnerte sie – an Paul? Nein, dessen weißes Haar war unverwechselbar. Dieser hier hatte braunes Haar. Rena konnte es also auch nicht sein.
    Als sie näher kam, hörte sie gemurmelte Koseworte. Mit Erleichterung erkannte sie Alexander. »Was machst du denn hier?« fragte sie, etwas atemlos, zur Begrüßung. »Rena ist im Haus!«
    Er drehte sich zu ihr um, ohne sein sonst so strahlendes Lächeln. Die Stute pflückte ihm die Möhre vom Handteller, die er ihr hingehalten hatte. »Ich weiß«, sagte er kurz angebunden und wandte ihr wieder den Rücken zu.
    »Kann ich dir helfen?« fragte Anne vorsichtig. Der Ausdruck in diesem glatten, jungen Männergesicht löste in ihr ein diffuses Unbehagen aus. »Brauchst du etwas?«
    »Nein«, sagte er.
    Anne spürte, wie sie ungeduldig wurde. Sie hatte heute besonders wenig Lust auf unhöfliche Jungmänner.
    »Also – was machst du hier?« fragte sie, grober, als sie eigentlich wollte. Er war immerhin Renas Freund. Sie mußte ihn ja nicht gleich vor den Kopf stoßen.
    »Ich denke nach.«
    »Gute Idee«, sagte Anne. Aber brauchte er dazu ihre Pferdekoppel? »Und worüber?«
    »Über Mutter und Tochter.« Der Knabe saß noch immer auf dem Gatter, mit dem Rücken zu ihr. Anne merkte, wie ihr die Galle hochstieg. Über die Tochter durfte er gerne nachdenken – falls er Rena meinte. Die Mutter aber ging ihn gar nichts an.
    »Und?« sagte sie eisig.
    »Nichts und.« Täuschte sie sich? Oder hatte sie ein Zittern in seiner Stimme gehört?
    »Kann ich dir irgendwie helfen, Alexander?« Sie versuchte noch einmal, versöhnlich zu sein.
    »Nein«, sagte der Junge und glitt vom Zaun. »Alles in Ordnung.«
    Sein Gesicht war wie versteinert, als er sich umdrehte und die Hände in den Hosentaschen versenkte. Er sah ihr nicht in die Augen.
    »Ich geh dann mal«, sagte er.

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