Caruso singt nicht mehr
zurück.
Karen lächelte huldvoll. Alles, was folgte, nahm sie als die überfällige Würdigung Ihrer Majestät.
Der Lärm war ohrenbetäubend, und die Holzwände vibrierten, als einer nach dem anderen seine Maschine über die Anfahrtsschrägen hochzog, bis kurz vor die Gesichter der Zuschauer, und in der Horizontale seine Kreise fuhr. Karen, die noch nicht einmal auf einem Fahrrad freihändig balancieren konnte, griff nach Pauls Arm, als der Seefahrer in der widernatürlichen Waagerechten auch noch im Stehen, im Liegen und freihändig fuhr. »Auf die Fliehkraft kannst du dich eigentlich immer verlassen«, sagte Paul beruhigend. »Bist du sicher?« fragte die Staatsanwältin zweifelnd zurück.
›Mad Kelly‹ schien verwachsen zu sein mit seiner trocken pröttelnden Ariel. Nach jedem waghalsigen Manöver strahlte er Karen an, die hingerissen zurückstrahlte. Zum Finale drehte nicht nur der kleine Rennwagen seine Kreise senkrecht an der Wand, auch die zwei Motorräder lieferten sich eine ohrenbetäubende Hetzjagd, einer schräg hinter dem Auspuff des anderen – obenauf ›Mad Kelly‹, der immer dort ganz nahe an der Balustrade vorbeischrammte, wo die große Rothaarige stand.
Karen johlte, Paul pfiff. Er war lange nicht mehr so glücklich gewesen.
Sie schlenderten über den Markt, tranken noch zwei Gläser Wein und als Karen zum dritten Mal gähnte, gaben sie die Suche nach weiteren Weltsensationen auf. Auf dem Rückweg zum Auto versuchte Paul Karen auf den neuesten Stand zu bringen – »Bremers Privatleben, Teil drei«, sagte er und zog sich den Schal fester um den Hals. Der Brand auf dem Weiherhof. Das Gespräch mit Anne. Die Rekapitulation fiel ihm seltsamerweise schwer. Vor allem gegen Annes Stasi-Geschichte sträubte sich irgend etwas in ihm. »Ich weiß nicht, warum sie mir das alles erzählt hat, Karen«, sagte er zweifelnd. »Das sind doch alles olle Kamellen. Und zwei Meter Akten – wegen dem bißchen Konspiration?«
Karen hatte ihm konzentriert zugehört. Jetzt blieb sie abrupt stehen und sah ihn entgeistert an. »Sag mal, Paul«, fragte sie ihn langsam und ungläubig, »willst du mir im Ernst erzählen, du hättest nicht begriffen, was sie dir da erzählt hat?«
Paul fand ihren Ton verletzend. »Offenbar nicht«, sagte er steif.
Männer, dachte Karen. So sensibel und empfindlich, wenn es um die eigenen Belange geht. Und so stur und einfallslos, wenn es um die Gefühle anderer ging. War das jetzt ungerecht? Karen ballte die Fäuste in der Manteltasche und dachte: Egal.
»Paul«, sagte sie mit demonstrativer Geduld. »Es gibt doch eigentlich nur eine Möglichkeit, warum sie unter der ganzen Stasi-Chose noch heute leidet. Und warum ihre Akten zwei Meter Regallänge einnehmen.«
»Karen«, sagte Paul, »dann erzähl es mir gefälligst auch.«
»Ganz einfach: Ihr IM hieß Leo. Ihr Mann hat sie verpfiffen.«
Bremer lachte verunsichert. »Das war ein braver Dissident, den haben sie rausgeschmissen.«
»Ich bitte dich! Das war doch bloß die Coverstory. Die waren doch an Anne Burau nicht interessiert, weil sie ein bißchen in der Friedensbewegung der DDR herumgemischt hat!«
»Warum denn sonst?« fragte Paul dickköpfig.
Karen lachte. »Das MfS hat ausgesprochen langfristig geplant. Sie müssen wohl davon ausgegangen sein, daß es den Klassenfeind noch lange geben würde.« Sie biß sich auf die Unterlippe. »Anne hatte offenbar interessante politische Kontakte im Westen. Die Stasi muß darauf gesetzt haben, daß diese Kontakte im Verlauf ihrer Karriere noch interessanter werden würden. Für diesen Fall wußte man einen Mann und Vertrauten an ihrer Seite, der alles loyal weiterleiten würde. Was immer sich so ergab. Das war eine Quellenabschöpfung größeren Stils.«
»Ach komm«, sagte Paul.
Karen nickte. »Die Wende hat den ganzen schönen Plan zunichte gemacht.« Sie setzten sich wieder in Bewegung, gegenläufig zur Masse der Menschen, die noch immer zum Markt strömten, obwohl es schon dunkel war. »Manchmal wüßte ich schon gern, was aus all diesen eingeschleusten Spionen geworden ist. Annes Ehemann war ja nicht der einzige.«
»Also, ich weiß nicht«, sagte Paul neben ihr zweifelnd. Karen hätte ihn am liebsten geschüttelt. »Paul, du Sturkopf, es gibt keine andere Erklärung!«
Ihm dämmerte, daß sie recht haben könnte. Das machte vieles verständlicher, dachte er. Annes Mißtrauen. Ihre Empfindlichkeit. Ihre Verschlossenheit.
»Sie hätte jeden Grund gehabt, ihren Mann
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