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Caruso singt nicht mehr

Titel: Caruso singt nicht mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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vorbeiging, die von der U-Bahn unter der Hauptwache hoch zur Katharinenkirche führte, fiel ihn ein beißender Geruch an, ein animalischer Gestank, der sich messen konnte mit dem Geruch aus Bauer Knöß’ Schweinestall, nein, der ihn übertraf. Männerpisse, dachte Paul, es gibt nichts Schlimmeres. Rechts von der Rolltreppe stand die übliche Versammlung von Trinkern und Obdachlosen, Bier in der Hand. Und das, dachte Paul angewidert, mußte ja entsorgt werden, am besten gleich hier, an Ort und Stelle. Einer der Trinker winkte ihm zu, mit der Bierflasche, und rief: »Alles in Ordnung, Macker?« Es stinkt, hätte Paul am liebsten zurückgerufen. Er ging wortlos weiter.
    Er hatte keine Ahnung, ob Frauenpisse in derselben Dosierung angenehmer riechen würde. Aber die Frage stellte sich nicht. Paul fühlte einen gewaltigen Überdruß an seinen Geschlechtsgenossen in sich emporsteigen. Und zugleich den Wunsch, sich ebenso schamlos gehenzulassen. Er hatte, gestand er sich ein, nicht vorrangig ein Problem mit den Männern. Sondern mit sich selbst.
    Am Liebfrauenberg tauchte er in die Einkaufspassage ein, an deren Ende das Lieblingscafé von Frank lag. »Wo sind die beiden überhaupt?« fragte Paul sich flüchtig, der es gestern noch angenehm gefunden hatte, daß keiner seiner Mitbewohner ihn in der Nordend-Wohnung empfing und womöglich auch noch ausfragte. Frank, der Bühnenbildner, war schwul und hielt sich bei seinem Geliebten öfter auf als in der Wohnung. Norbert verkaufte Autoelektronik und war viel unterwegs. Er hatte, soviel Paul wußte, gar kein Privatleben.
    Im Café plätscherte ein kleiner Springbrunnen unter einer Glaskuppel. Der Barkeeper musterte ihn abschätzend und setzte ihm dann den Capuccino ohne weiteren Kommentar auf die Theke. Die gezierten Handbewegungen des kahlköpfigen Mannes am Tisch vor dem Springbrunnen ließen ihn an Frank denken, der eine hinreißende Tunte geben konnte. Frank schwärmte übrigens für Karen. Sie erinnere ihn, behauptete er, an Marianne Rosenberg. So ein Quatsch, dachte Paul, holte sein Portemonnaie aus der Hosentasche und zahlte.
    Am Römer, dem alten Frankfurter Rathaus, hatte ein Bus gerade eine Ladung heftig aufeinander einredender Koreaner ausgespuckt. Alle trugen graue Stoffhosen und Blousons und hatten eine Kamera vor der Brust hängen. Warum sie meterweise Kodak ausgerechnet auf Frankfurt verschwenden wollten, leuchtete Paul nicht ganz ein. Und gerade hier war nicht Frankfurt, sondern Disney-World: Die »Ostzeile«, die Gebäude, die dort standen, wo vor jener Märznacht im Jahre 1944 die Altstadt gewesen war, waren Nachbauten, auf den großen, kahlgeräumten Platz zwischen Dom und Rathaus gestellt, als man in Frankfurt wieder – oder vielmehr: noch – Geld hatte. Und wie zum letzten Beweis dafür, daß die Vergangenheit wirklich ganz und gar vergangen war, stützte ein enormer Eisenträger das eine, das linke der nachgebauten Fachwerkhäuser. Während die Altvorderen für die Ewigkeit gebaut haben, dachte Paul mit einem Anflug von Schadenfreude, hält der Versuch, sie nachzuahmen, gerade mal fünf Jahre.
    Vom Main her kreischten die Möwen. Über den trägen Fluß schipperte ein Lastkahn. Fetzen der Kommandos drangen zu ihm, die ein Mädchen an der Spitze eines langen, eleganten Ruderbootes ihren acht Sportsfreundinnen zurief, die im Takt die Ruder schwangen. Das ist fast so schön wie Fahrrad fahren, dachte Paul andächtig und sah dem fast lautlos durchs Wasser gleitenden Frauenachter hinterher. Am Eisernen Steg ging er rechts, am Main entlang, der Hochhaussilhouette der Stadt entgegen, an der Alten Brücke vorbei, vorbei an der Rollschuhbahn und einem stacheldrahtbewehrten, abweisenden, ausgezehrten Flachbau, den die üblichen Graffiti zierten.
    Der graue Himmel hatte sich aufgelockert, er war nicht mehr eine einzige Wolkendecke, sondern ließ Kumuli mit grauen Rändern erkennen, die sich berührten, ergänzten, übereinanderschoben. Paul setzte sich ans Flußufer und horchte in sich hinein. In das bißchen Seele und Gemüt, das er sich überhaupt noch zutraute.
    Wahrscheinlich hatte Karen recht. Er idealisierte seine Frauen. Er wollte nicht, daß sie das Bild verließen, das er sich von ihnen gemacht hatte. »Sibylle«, sagte er und fühlte einen kleinen, scharfen Schmerz. Er hatte sich die häusliche Idylle mit ihr gut ausmalen können. Ein Haus im Grünen, Kindergeschrei, das gemeinsame Abendbrotessen, der erste Schultag. Aber die kilometerlange Strecke aus

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