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Caruso singt nicht mehr

Titel: Caruso singt nicht mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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umzubringen«, sagte Karen spekulativ. Auch da, durchfuhr es Paul kalt, könnte sie recht haben. »Aber warum hat sie dann damit solange gewartet?« widersprach er lahm.
    Karen war plötzlich maßlos ungeduldig mit ihrem alten Freund, der mit hängenden Schultern neben ihr ging. »Paul«, sagte sie scharf und ärgerte sich, daß er zusammenzuckte wie ein ertapptes Kind. »Entscheide dich doch endlich mal, ob du sie für eine Mörderin hältst oder nicht – und wenn nicht, dann sei an ihrer Seite, statt wieder einmal davonzulaufen!« Auf einmal war ihr klar, warum sie mit Pauls Frauen nie etwas anfangen konnte: Weil er sie stets als ideale Geschöpfe präsentiert hatte, rein, gut und groß. Karen ging unwillkürlich schneller. Er stellt sie aufs Podest, dachte sie wütend. Aber sobald er merkte, daß sie nicht Manna ausschwitzten, sondern Körpersäfte wie alle anderen auch, zog er sich zurück.
    »Ist dir schon mal aufgefallen«, sagte sie brutal, »daß du nie dawarst, wenn deine Frauen dich mal brauchten?«
    Er starrte sie an. »Das saß«, sagte er nur.
    Mist, dachte sie, als sie sein Gesicht sah. Mußtest du blöde Kuh wieder mit der Tür ins Haus fallen?
    »Paul –«
    »Laß nur.« Bremer atmete tief ein. »Vielleicht hast du ja recht.«
    Er ließ sich von ihr nach Hause fahren und vor der Haustür absetzen. Diesmal ohne hysterische Beifahreranfälle. Er küßte sie flüchtig auf die Wange und sagte: »Ich meld mich.«
    Er tut mir leid, dachte Karen und sah ihm hinterher. Aber so wurde das nie was mit Paul Bremer und den Frauen. »Sei nicht so vernagelt, Paul«, murmelte sie und legte den Gang ein.
    Paul schloß die Wohnungstür auf, nahm das Telefon mit in die Küche, wählte Annes Nummer und ließ es klingeln, bis die Verbindung unterbrochen wurde. Dann versuchte er es gleich noch einmal. Und noch einmal. Sie meldete sich nicht.
    Es war Donnerstag abend. Anne konnte nicht ans Telefon gehen. Keine Menschenseele im Weiherhof konnte an diesem Abend ans Telefon gehen. Aber woher hätte Paul Bremer das wissen sollen?
3
    Paul wachte am anderen Morgen mit einem Gefühl auf, das ihn an die schlimmsten Zeiten seines Lebens erinnerte. Es war dieses ziehende Gefühl in der Magengrube, dieses Gefühl, gleich würde der Boden unter einem wegbrechen – das Gefühl, das er vor dem mündlichen Abitur hatte. Vor der Abnahme der größten Werbekampagne, für die er in der Agentur zuständig gewesen war. Vor der Begegnung mit Sibylle, nachdem sie aus dem Krankenhaus entlassen worden war. »Versagensangst«, bescheinigte er sich. »Du warst ein Esel. Und du weißt es auch.«
    In der wenig anheimelnden Frankfurter Wohngemeinschaftsküche machte er sich eine Kanne Tee und wählte Annes Nummer. Es war kurz nach neun, sie war bestimmt schon auf, vielleicht im Hofladen, vielleicht noch im Haus. Vielleicht ging auch Rena an den Apparat. Wieder ließ er es lange klingeln. Und versuchte es gleich noch einmal. Wieder antwortete niemand.
    Paul merkte, wie sich eine dunkle Wolke in seinem Kopf zusammenzog. Er rief Karen an. Es war Freitag früh, sie mußte eigentlich im Büro sein. Niemand meldete sich. War sie zu Hause? Dort erwischte er nur ihren Anrufbeantworter. »Ich muß mit dir reden«, sagte er leise und hörte noch, wie das Band sich abschaltete. »Du hattest recht«, hatte er eigentlich noch hinzufügen wollen.
    Er ließ seinen Tee stehen, holte die schwarze Lederjacke aus dem Schrank und zog die Wohnungstür hinter sich zu. »Bremer, du hast verloren«, sagte es in seinem Kopf. Und: »Schon wieder.« Und: »Gewöhn dich doch einfach daran.«
    Paul bog in den Oederweg ein, ohne viel wahrzunehmen von der Stadt. Der Himmel war verhangen, das Weinlaub an dem schönen alten Eckhaus leuchtete glühendrot, die meisten Passanten hatten es eilig. Der Eschenheimer Turm stand auf dem großen, verkehrsreichen Platz wie ein buntgewandeter Fremder inmitten einer Ansammlung gleichförmig gekleideter Geschäftsleute. Das alte Frankfurt war in der Bombennacht vom 22. März 1944 untergegangen – seine letzten Reste waren in den 60er Jahren den Planvorgaben der »autogerechten Stadt« zum Opfer gefallen. Was übriggeblieben war, stellte keinen Zusammenhang mehr her. Frankfurt war eine entkernte Stadt. Paul fühlte, daß ihn die Kühle beruhigte, mit der die Stadt ihn empfing. Er hatte für eine Weile genug von menschlicher Wärme.
    Er ging durch die Schillerstraße, über die Hauptwache, Richtung Katharinenkirche. Als er an der Rolltreppe

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