Caruso singt nicht mehr
seine kleine Reisetasche, drehte die Wasserzufuhr ab, vergewisserte sich, daß auch alle Lichter gelöscht waren, schloß Schuppen und Haustür zu und flüchtete. In einem Anfall von Rebellion hatte er darauf verzichtet, sich von Gottfried oder Marianne zu verabschieden. »Ich bin schließlich nicht mehr minderjährig«, murmelte er und gab Gas.
Er erreichte Frankfurt in Rekordgeschwindigkeit. Dazu gehörte nicht viel – nur der Verstoß gegen die Verkehrsvorschriften und den allgemeinen Anstand. Paul fuhr hell erleuchtet, unbeirrbar links, hielt einen Abstand zum Vordermann, der, gelinde gesagt, unhöflich war, und schimpfte wie ein Rohrspatz auf alles, was sich ihm in den Weg stellte. Das ist zwar unfein, sagte er sich mit boshaftem Vergnügen, aber es durchblutet – seelisch und körperlich.
Im Nordend fand er zu seiner Verblüffung auf Anhieb einen legalen Parkplatz – und das auch noch wenige Schritte von der Männer-WG entfernt, in der er seit Jahren ein Zimmer hatte. Niemand war da; nach dem Innenleben des Kühlschranks zu schließen, hielt dieser Zustand schon eine Weile an. Bremer stellte die Reisetasche in seinem Zimmer ab und ging ins Café, gleich um die Ecke. Danach: in die Stadt.
Erst nach dem Erwerb von fünf englischen Taschenbüchern, einem praktischen Lederbeutel, in dem man Wein kühl halten konnte, zwei Flaschen mit bestem schottischen Maltwhisky und einer Knoblauchpresse legte er eine Pause ein. Merkwürdig, dachte er und sah vom Rand des großen Brunnens auf dem Opernplatz aus den Menschenströmen zu, wie zuverlässig das wirkte – Geldausgeben gegen Unlustgefühle. Das mußte mit einem tiefverankerten psychischen Programm der Menschheit zu tun haben: Beutemachen. Es hebt den Adrenalinspiegel und damit auch die Stimmung. Und man tut es heutzutage am besten in der Großstadt.
Bremer raffte seine Plastiktüten zusammen und ging durch Freßgass’, Schillerstraße und über die Hauptwache zur Zeil, der rammelvollen Fußgängermeile Frankfurts. Er ließ sich willig anrempeln und schubsen, von Fahrradfahrern belästigen und von phalanxartig aufmarschierenden Großfamilien verdrängen. Er stellte sich alle auf der Jagd nach Beute vor, in atemloser Ausnahmestimmung, mit hellwachen Instinkten, im Kampf gegen konkurrierende Mitjäger – Sommer- und Winterschlußverkauf die Höhepunkte der Jagdsaison … Und das ist die Musik zum Verblasen der Strecke, dachte er, als er bei der peruanischen Kelly-Family stehenblieb, die mit ihren Kleinverstärkern die zarteren Töne von Rambling Rudi brutal erschlugen, dem Alleinunterhalter, der gleich nebenan sein Banjo spielte.
Fasziniert ließ Bremer sich treiben. Im Gewürzladen an der Konstablerwache kaufte er ein halbes Pfund Darjeeling, eine Tüte Curry, ein Döschen Safran und eine frische Ingwerknolle. Das war auf dem Land selten bis nie zu kriegen. Seine Küchenhandtücher ergänzte er bei dem Laden für Berufskleidung schräg gegenüber. Lange überlegte er, ob er sich nicht endlich einmal eine vernünftige Küchenschürze kaufen sollte. »Die Profis tragen diese hier«, sagte die ältere Dame, die ihn bediente, breitete das Kleidungsstück vor ihm aus und rieb den Stoff zwischen Daumen und Zeigefinger. Fast hätte sie ihn überzeugt.
Nach einer Dreivietelstunde gab Bremer auf. Er stellte sich an einen der hohen Tische vor seinem Lieblingscafé gleich neben der Katharinenkirche und bestellte sich bei der netten, rundlichen tschechischen Bedienung den üblichen Salat mit Putenbrust und ein Glas Champagner, erschöpft von all den Transaktionen, die ihm viereinhalb satt gefüllte Einkaufstüten beschert hatten. Er wunderte sich über sich selbst. Das war ein ausgewachsener Kaufrausch gewesen. Und er hatte noch nicht einmal ein schlechtes Gewissen dabei.
Am Ecktisch stand ein Pärchen und teilte sich einen Capuccino. Direkt neben ihm war ein rothaariger Junge in schwarzen Jeans auf Rollerblades herangerollt, der, während er die Speisekarte studierte, sein Handy aus der Brusttasche holte. »Ein Ortsgespräch gegen ein Getränk deiner Wahl?« rief Paul hinüber. Der Junge nickte, lachte und legte ihm das kleine schwarze Funktelefon auf den Tisch, das noch ganz warm war. Paul kannte die Nummer auswendig. Schon beim zweiten Klingeln hatte er sie am Apparat.
»Paul, ich muß auch mal arbeiten«, sagte sie lachend.
»Habt ihr verlängerte Ladenöffnungszeiten? Ich dachte, bei Behörden macht man pünktlich Dienstschluß!«
»Moment«, sagte sie etwas
Weitere Kostenlose Bücher