Caruso singt nicht mehr
blöden realsozialistischen Abkürzungsfimmel.
»Nein – nie davon gehört.«
»›Odom‹ ist nicht ganz so pompös – so nennt sich eine ›Organisation der Offiziere des Ministeriums‹. Es wird darüber gestritten, ob diese Gruppe womöglich nur ein Phantom ist. Völlig zweifelsfrei gibt es die Gruppe ›Kundschafter des Friedens fordern Recht‹, leider nicht ganz so abkürzungsgeeignet.«
»Wie wär’s mit ›KuFfoR‹«, schlug Anne vor und rang sich ein Grinsen ab.
Sie hatte von keiner dieser Gruppen etwas gehört. Ihre Existenz aber war plausibel. Noch plausibler war, daß sie nur das Aushängeschild für die wirklich wichtigen, die klandestinen Seilschaften darstellten. »Ich habe nie geglaubt, daß ein Geheimdienst, der immerhin jahrelang einer der erfolgreichsten der Welt war, sich einfach so auflöst, ohne daß die alten Kumpane irgendwo und im geheimen die alten Verbindungen für neue Zwecke pflegen«, sagte sie. Kosinski nickte.
»Sie gehen also davon aus, daß Ihr Mann Kontakt hielt zu den alten Seilschaften?«
Anne zuckte mit den Achseln. »Ich halte das für wahrscheinlich. Ich glaube fest, daß sich die Spezialisten des MfS auch materiell gut abgesichert haben. Es würde mich nicht wundern, wenn er Kontakt zu ihnen gesucht hätte. Er ist ja schließlich immer ein loyaler Diener der Stasi gewesen.«
»Und das Geld, das er in den Weiherhof gesteckt hat?«
Sie hatte nur anfangs Skrupel gehabt, Leos Geld anzunehmen. »Nimm’s«, hatte Leo gesagt und sie spöttisch angesehen: »Dann werden wenigstens keine Verbrechen damit finanziert. Sondern das Gute, Schöne und Wahre.« Danach hatten sie über das Thema nicht mehr geredet.
»Ich hab das Geld manchmal ›Blutgeld‹ genannt«, sagte Anne leise. »Aber ich hab es genommen. Und jetzt habe ich damit zu leben.« Mit der Rache der Vergangenheit, dachte sie.
Der Inspektor erhob sich, unter verschlafenem Protest von Boris. »Sie wissen, daß ich mit Rena reden muß? Bald?« fragte er.
»Der Arzt hat sie noch nicht für vernehmungsfähig erklärt.« Anne wollte Rena so lange wie möglich schonen.
Kosinski seufzte. »Irgendwann muß es sein. Das verstehen Sie doch, oder?« Anne nickte. Natürlich verstand sie. Was blieb ihr anderes übrig.
Schon im Gehen drehte Kosinski sich noch einmal zu ihr herum. »Ellen«, sagte er. »Was könnte Ellen auf Russisch bedeuten?«
»Sie meinen, abgesehen davon, daß es ein Frauenname ist? Keine Ahnung.« Anne schüttelte den Kopf.
»Eine Abkürzung? Von irgend etwas?«
»Vielleicht«, sagte sie und runzelte die Stirn. »Aber was …?«
»War nur so eine Frage«, sagte er in schönster Columbo-Manier und zog die Haustür hinter sich zu.
Das Gespräch mit Kosinski beschäftigte sie seltsamerweise den ganzen Tag. Während sie ihre Buchhaltung zu Ende brachte. Ein paar Anrufe erledigte und nach den Pferden sah. Die Hunde fütterte und die Katzen. Die Wäsche in die Waschmaschine stopfte. Die Bohnensuppe für den Abend aus der Tiefkühltruhe holte. Die Topfpflanzen goß.
Ob sie sich »Odom«, »Isor« oder wie auch immer genannt hatte: Sie war sich sicher, daß Leo einer Untergrundorganisation seiner alten Arbeitgeber angehört hatte. War er Opfer der russischen Konkurrenz geworden? Einer KGB-Organisation namens »Ellen«? Oder war er Opfer der eigenen Genossen geworden, eines Komplotts, eines Kampfes der Linien, einer Säuberungsaktion, wie sie in der Geschichte des Sozialismus und Kommunismus Legion waren? Das wäre die einfachste, die praktischste Lösung.
Gestern noch wäre sie erleichtert gewesen, in Alexander den Mörder gefunden zu haben – und in Leo das Opfer, das einmal, einmal wenigstens altruistisch und nicht egoistisch gehandelt hatte. Heute setzte sie auf alles, was den Verdacht von den letzten bescheidenen Resten ihres Privatlebens fernhalten könnte. Schon um Renas willen hoffte sie, daß Alexander sich darauf beschränkt hatte, Pferde umzubringen.
Sie sehnte sich plötzlich nach jemandem, mit dem sie sich aussprechen konnte. Paul? Ob er diesmal verstehen würde? Sie blätterte in ihrem Adreßbuch und wählte seine Nummer. »Geh ran, Paul«, flüsterte sie. »Sei doch einmal wenigstens zu Hause.« Nach dem zweiten Versuch legte sie resigniert auf. Warum sollte er auch für sie dasein? Sie hatte ihn schließlich weggeschickt. Und aus keinem besseren Grund als dem, daß er nicht gleich verstanden hatte, was sie jahrelang nicht verstehen wollte.
7
Die Saalbeleuchtung war am Erlöschen,
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