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Caruso singt nicht mehr

Titel: Caruso singt nicht mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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angegangen war, zum ersten Mal an diesem Abend wirklich aus sich heraus ging? David, auch das war ein geschickter Schachzug, ließ sie klatschen, ohne sich noch einmal blicken zu lassen.
    Harri Ebinger setzte sich neben Karen auf die Bank, als die Artisten zum Schlußapplaus alle zusammen auf die Bühne traten. David Wlassow und Dani Ebinger hatten den Arm umeinander gelegt und lachten einander an. Karen registrierte ein kleines, aber aufdringliches Eifersuchtsstechen.
    Harri sah sie aufmerksam von der Seite an. War sie so offensichtlich?
    »Ich hab vielleicht doch den falschen Beruf gewählt, Harri«, sagte sie, um von ihrem Gemütszustand abzulenken. Der Varietedirektor, der stolz auf seine Vergangenheit als Berliner Currywurstverkäufer war, widersprach.
    Karen ertappte sich bei dem absurden Wunsch, jetzt neben David auf der Bühne zu stehen, ihm nahe zu sein und zu fühlen, wie seine an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit getriebenen Muskeln vibrierten. Sie atmete heftig aus und lachte etwas verlegen, als sie spürte, wie Harri sie wieder ansah. Fragend.
    »Soviel Applaus kriegt man als Staatsanwältin jedenfalls selten.«
    »Aber Exhibitionisten seid ihr doch auch, oder?«
    »Das ist weiß Gott wahr.«
    »Und außerdem haben das Bürgerliche Gesetzbuch und die Gesetze der Schwerkraft eines gemeinsam: Bei jedem Verstoß liegst du auf der Schnauze …«
    »Mit einem Unterschied: Das Gesetz der Schwerkraft kennt kein richterliches Ermessen …« Jetzt lachte Karen.
    »Und sieht in manchen Fällen sogar die Todesstrafe vor!«
    »Ich hätte also nichts zu bereuen?«
    »Gar nichts«, sagte Harri und tätschelte ihren Unterarm. War sie schon bemitleidenswert?
     
    An seinen Schläfen klebte noch der Goldstaub, als David zu Karen an den Tisch kam, die sich in der Trapezbar ein Glas Rotwein bestellt hatte und versuchte, ihrer Verwirrung Herr zu werden. Sein Anblick traf sie in die Magengrube. Er ist ein sehr schöner Mann, dachte sie, er ist einfach nur ein schöner Mann. Aber so einfach war es eben nicht. Denn das erklärte nicht, wie heftig er auf sie wirkte – eine Anziehungskraft, die ihr langsam unheimlich vorkam. Fast so unheimlich wie ihre mangelnde Gegenwehr.
    »Karen, Karenina«, sagte David fast flehend, der merkte, daß ihrer Begegnung die Leichtigkeit abhanden gekommen war. »Hat es dir nicht gefallen?«
    »Doch«, sagte sie trocken. »Der Künstler weiß, was Frauen mögen.«
    David lehnte sich zurück und lachte auf. »Vergiß die Männer nicht«, sagte er und faßte nach ihrer Hand. »Ich bekomme von einem namens Ingo seit drei Wochen fast jeden zweiten Abend einen Strauß Blumen.«
    »Allen zu gefallen ist natürlich die beste Lösung«, antwortete Karen und versuchte, ihre kühle Fassade aufrechtzuerhalten.
    Zwecklos, dachte sie, als sie merkte, wie ihr wieder die Hitze ins Gesicht stieg. Sie konnte sich nicht daran erinnern, sich jemals so nach einem Mann gesehnt zu haben. Nach dem Körper eines Mannes. Nach jedem Zentimeter dieses Körpers. Sie wagte nicht, ihm in die Augen zu sehen. David drückte sanft ihre Hand. Seine Hände waren warm und trocken. Und hart, vor allem unten, am Ballen. Der Geruch, der von ihnen aufstieg, erinnerte sie an Kreide. An erdigen Schweiß. Und plötzlich spürte sie es tatsächlich: das leise Vibrieren der bis aufs äußerste strapazierten Muskeln. Wie ein sanftes Pulsieren. Wie elektrischer Strom.
    »Karen«, sagte er leise.
    »Ja«, antwortete sie.
    Als sie ihn endlich ansah, glaubte sie das gleiche Verlangen in seinen Augen zu erkennen. Michel brach den Bann – und Karen war ihm fast dankbar dafür: Er stellte ein Glas Wasser vor David.
    »David«, sagte Karen und strich ihm sanft über den rechten Arm. Auf diesem Arm, dachte sie, hatte das Gewicht seines Körpers minutenlang gelastet. Wie aus weiter Ferne sah sie den kreisrunden Fleck auf der Innenseite seines Arms, gerade unterhalb der Armbeuge. Nur langsam begriff sie, was sie da sah. Es war das Mal, das ihr schon bei ihrer ersten Begegnung aufgefallen war. Fünfmarkstückgroß, registrierte sie mit professionellem Blick, Preußischblau. Innerhalb des Kreises Zeichen. Runen. Oder Buchstaben.
    »Was bedeutet das?« fragte Karen. Ihr wurde schwindelig. Sie hatte diese Zeichen kürzlich an einer anderen Stelle gesehen – aber nicht auf einem lebendigen Körper. Sondern auf einem Toten. Und nicht auf einem Arm. Sondern auf einem Arsch. Auf den Fotos, die Gregor Kosinski ihr geschickt hatte. Mordfall Matern.
    Worauf,

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